Oktober 2021
1. Situationsbeschreibung aus eigenen Beobachtungen
Der überall zu beobachtende Bau-Boom und die immer noch intensiver und effizienter werdende Landwirtschaft prägen immer mehr das Landschaftsbild vielerorts in Deutschland, vor allem in den Ballungsräumen, die sich immer mehr ausdehnen. Dies ist auch im Raum Freiburg i. Breisgau der Fall, wo ich schon lange wohne.
Hauptsächlich sind landwirtschaftlich genutzte Flächen vom Siedlungsdruck betroffen. Aber auch Wälder werden von Straßen, Strom- und Gasleitungen zerschnitten. Manche Waldgebiete werden darüber hinaus immer mehr zu Arenen für verschiedenste Freizeitsport-Aktivitäten, die den Waldböden sowie der Flora und Fauna der Wälder nicht immer zuträglich sind.
Da ich seit etwa 40 Jahren im selben Haus in Kirchzarten nahe Freiburg wohne und auch seit Jahren eine Winterfütterung habe, weiß ich, wie viele früher häufige Vogelarten hier nach und nach verschwanden.
Von vier Nistkästen am Haus wurden im Frühjahr 2021 einer von Blaumeisen bezogen, das Kohleisen-Nest in einem anderen wurde noch vor der Eiablage verlassen.
Dafür kreisen erfreulicherweise Weißstörche, Rotmilane, Bussarde, Turm- und sogar Wanderfalken über dem Haus. Aber man sieht im Sommer fast keine Mauersegler mehr, die noch vor 20 Jahren sehr zahlreich durch die Luft jagten.
Die Futterstelle am Haus besuchten im vergangenen Winter fast nur noch Türkentauben, Feldsperlinge und Amseln. Gelegentlich kam im letzten Winter noch eine Kohl-, Blaumeise oder ein Buchfink vorbei. Die noch vor 10 Jahren am häufigsten anzutreffenden Grünfinken sind inzwischen völlig verschwunden, ebenso Tannen-, Sumpfmeise, Kleiber, Erlenzeisig, Stieglitz oder gar Gimpel und Kernbeißer.
In der Feldflur zwischen Kirchzarten und Freiburg-Kappel lassen sich in den Gehölzstreifen immerhin noch Mönchs-, Garten- und Dorngrasmücken hören.
Die Szene bestimmen aber die Rabenvögel, wobei die Elstern seit ca.10 Jahren immer seltener anzutreffen sind. Dafür wimmelt es von Raben-, Saatkrähen und auch Kohlraben, von denen manchmal bis zu 100 Individuen in einer Schar zu anzutreffen sind.
Als Neuankömmlinge stellten sich Orpheusspötter (seit 2014) und an einem Tümpel ein Nilgans-Paar ein. Ein Braunkehlchen-Paar ist seit 2018 verschwunden, wahrscheinlich weil am Bahndamm der Höllentalstrecke für eine Gleisbett-Dränage Gehölze am Brutort entfernt wurden.
Diese Beobachtungen geben bestimmt kein vollständiges Bild der Avifauna meines Wohnortes wieder, sie werfen aber ein Schlaglicht auf die Situation, die ich im Dreisamtal westlich von Kirchzarten bei meinen zahlreichen Spaziergängen beobachtet habe.
2. Die Ursachen für die Vogelverluste
An erster Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass im Folgenden aufgrund der Komplexität des Ursachengefüges weder eine qualitative noch eine quantitative Gewichtung der einzelnen Ursachen erfolgt. Die Auflistung soll dazu dienen, einzuschätzen, inwiefern man selbst im Privatbereich bzw. als Entscheidungsträger innerhalb einer Organisation zu Vogelverlusten beiträgt und wie man sie durch eigenes Handeln verringern kann.
2.1 Vogelverluste durch die Landwirtschaft
Durch die Flurbereinigungen zwischen den 1960er und 1980er Jahren wurden die Agrarlandschaften großflächig völlig ausgeräumt. Feldgehölzer wurden entfernt, Wege und Wasserläufe wurden begradigt. Weiterhin wurden die in der Oberrheinebene zuvor noch zahlreich vorhandenen Feuchtwiesen entwässert und größtenteils in Ackerland umgewandelt.
Die verbliebenen Wiesen wurden immer intensiver mit Gülle gedüngt und dadurch das Pflanzenspektrum völlig eingeengt auf Gräser und wenige Stickstoff liebende bzw. tolerante Nektar spendende Blütenpflanzen. Damit wurde die Nahrungsgrundlage für Insekten und damit auch für viele Vogelarten gewaltig reduziert. Nicht nur die reinen Insekten-Spezialisten unter den Vögeln benötigen Insekten. Auch die Körnerfresser füttern ihre Jungen in den ersten Tagen mit Insekten!
Für das Grünland gilt: Statt zweimal werden die Turbo-Wiesen fünf- oder sechsmal gemäht und gedüngt. Die Nektar spendenden Blütenpflanzen gelangen gar nicht mehr zur Samenreife.
Dass großflächige Ackerflächen mit Mais, Getreide oder Spargel sich nicht mehr als Habitate für Wachtel, Wachtelkönig, Rebhuhn, Kiebitz, Großen Brachvogel oder Feldlerchen eignen, versteht sich von selbst.
Auch die immer effizienter werdenden Ernte-Maschinen der Landwirte lassen kaum noch ein Mais- oder Weizenkorn für die Vögel nach der Ernte auf den Äckern zurück. In letzter Zeit haben z. B. Ringeltauben an zwei bis drei Tagen alle Reste aufgepickt. Früher waren sie mehrere Wochen anzutreffen.
Der Pestizid-Einsatz wirkt hauptsächlich indirekt auf die Vögel. Je nach eingesetztem Wirkstoff können sie das Artenspektrum von Pflanzen und Insekten und damit die Nahrungsgrundlage der Samen- und Insekten fressenden Vögel massiv einschränken.
Aber gerade dieser Sachverhalt wird in der öffentlichen Diskussion über die Wirkungsweise der Pestizide oft verkannt, vor allem wenn sie grundsätzlich nur dann verantwortlich gemacht werden und bisweilen der Eindruck entsteht, die Vögel würden tot vom Himmel fallen, wenn ein Landwirt Pestizide ausbringt.
2.2 Vogelverluste in Hausgärten und in Grünanlagen
Es muss offen angesprochen werden werden, dass Pestizide nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in erheblichen Mengen in privaten Gärten und in Grünanlagen aller Art eingesetzt werden. Man denke nur an die "Schlacht" gegen den Buchsbaumzünsler in unserer Region, in der auch Insektizide eingesetzt werden.
Sportanlagen wie Golfplätze sind auch nicht ohne Pestizid-Einsatz zu betreiben, der unerwünschte Planzen und Tiere fern hält. An Graswurzeln fressende Insekten-Larven sind z. B. eine wichtige Eiweißnahrung für viele Vogelarten.
Aber nicht nur Pestizide gefährden den Vogelbestand in den Gärten. Die Gärten werden immer artenärmer. Einheimische Baum- und Straucharten werden entfernt. Wenn neu bepflanzt wird, dann mit Kirschlorbeer oder Rhododendron, die Insekten und Vögeln nicht viel bieten. Oft bleibt auch in Schrebergärten nur noch ein englischer Rasen, der nicht anders behandelt wird wie eine Turbo-Wiese.
Als ob das nicht schlimm genug wäre, werden noch Immer mehr Rasen mit Schotter oder Kies bedeckt und mit einigen immergrünen Mini-Bäumchen oder Ziergras-Inseln bepflanzt. Der Rest des Grundstücks ist für die Fahrzeug-Flotte asphaltiert oder geplättelt.
Wo soll da noch ein Sperling, ein Hausrotschwanz, ein Grauschnäpper oder eine Schwalbe Nahrung und Nistmöglichkeiten finden? Allenfalls eine Amsel hüpft da noch über den Rasen, weil noch ein paar Regenwürmer im Boden zu finden sind.
2.3 Vogelverluste durch Verdichtung im Siedlungsraum
Hier in Freiburg, aber auch in vielen anderen Städten werden ganze Kleingartenanlagen plattgemacht, die nicht nur die Lungen und Luftfilter sowie CO2-Senken der Städte sind, sondern auch reich strukturierte Lebensräume für viele Vogelarten darstellen. Folge: Ein „stummer Frühling" in ganzen Wohnquartieren, man achte auch einmal darauf, wie viele Kirchplätze und Friedhöfe hier in der Region "gelichtet" wurden.
2.4 Vogelverluste durch Aufprall auf Glasfassaden und Fenster
In dem Artikel "Fenster zum Tod" ("Der Spiegel“ 2/2017) werden erschreckende Zahlen hierzu genannt, wie unsere Gebäude vor allem den Kleinvogelbestand "auskämmen". In Nordamerika wird der Verlust auf rund eine Milliarde Individuen pro Jahr geschätzt, für Europa eine hohe dreistellige Millionenzahl.
2.5 Vogelverluste durch Straßen- und Flugverkehr
Für die Verluste auf Straßen durch den Fahrzeugverkehr gibt es sicherlich ebenfalls Schätzungen. Einmal sind Jungvögel, die noch nicht vollständig flügge sind und die an Straßenrändern in Nestern auf Bäumen, in Hecken oder am Boden aufwachsen. Weiterhin sind auch Altvögel vieler Arten betroffen, die Weichtiere, Insekten, Wirbeltiere oder Sämereien aufpicken. Als Aasfresser dürfte mancher Rotmilan auch von einem Fahrzeug überfahren werden und nicht nur durch Windräder getötet werden.
Es ist bekannt, dass sich auf Flugplätzen oft viele Vögel aufhalten und es an größeren Flughäfen ein regelrechtes Vogel-Management gibt um Schlagschäden mit Flugzeugen zu verhindern. Wenn es zu spektakulären Flugzeug-Unfällen durch die Kollision mit Vögeln kommt, berichten die Medien. Die vielen kleinen Kollisionen, die zu Vogel-Verlusten führen bleiben im Dunkeln.
2.6 Vogelverluste durch Hauskatzen
Im dem in Abschnitt 2.3 zitierten Spiegel-Artikel äußert der dort zitierte amerikanische Ornithologe die Vermutung, dass die Verluste an Kleinvögeln durch Hauskatzen sogar noch höher sind als durch Aufprall auf Glasfassaden und Fenster.
Dieser Befund dürfte die vielen Katzenfreunde bei uns schockieren, hoffentlich motivieren sie auch Katzenhalter, besser auf ihre Haustiger aufzupassen.
2.7 Vogelverluste durch Fang und Bejagung von Zugvögeln im Mittelmeerraum
An der nordafrikanischen Küste und auf den Inseln Zypern und Malta (beides EU-Länder mit den angeblich strengsten Vorschriften der Vogelschutz-Richtlinie der EU) kommen ebenfalls jährlich auf dem Hin- und Rückflug Millionen Vögel zu Tode und werden noch als Delikatessen, sicherlich auch von deutschen Touristen verspeist. Leider gibt es auch in Italien und Frankreich noch illegale Vogeljagd.
3. Schlussfolgerungen
Das immer etwas verächtlich als Piepmatzkram bezeichnete Vogel-Thema ist ökologisch unglaublich relevant, zeigen doch die sehr mobilen und instinktsicheren (vielleicht sogar intelligenten?) Vögel an, wie intakt unsere natürlichen Lebensräume und komplexen ökologischen Kreisläufe noch sind.
Ich hoffe, an dieser Stelle hierzu einige Informationen und Denkanstöße für die weitere Diskussion zum Thema "Stummer Frühling" gegeben zu haben.