25.03.2019
Leitartikel „Badische Zeitung“ vom 21.03.2019, Autor: Bernhard Walker
Es ist äußerst verdienstvoll, dass die Badische Zeitung (BZ) ihren Leitartikel anlässlich des „Tags der Insekten“ diesem außergewöhnlichen Thema gewidmet hat. Dieser Tag war mir bislang nicht bekannt, obwohl ich als Forst-Entomologe beruflich viel mit Insekten zu tun hatte.
Inhaltlich kann ich den Ausführungen des Autors nur voll zustimmen. Besonders die Förderpraxis der EU für die Landwirte als dringend änderungsbedürftig zu brandmarken, ist ein wichtiges Statement, da weit verbreitete konventionell bewirtschaftete Flächen insektenfeindlich sind, aber von der EU ebenso gefördert werden wie ökologisch bewirtschaftete.
Situation der Insekten im Lebensraum Wald
Resümee
Ich hoffe, ich konnte hier einige Aspekte des sehr komplexen Phänomens Insektenschwund über das bereits Bekannte hinaus aufzeigen. Das Thema bleibt heiß, weil rd uns alle betrifft, nicht nur wegen der Bestäubungsleistung der Honig- und Wildbienen.
Leider scheint mir an den Schulen die Digitalisierung einen höheren Stellenwert einzunehmen als Natur- und Artenschutz. Man muss aber den Schülern schon erklären , dass die Vielfalt der Arten eine wichtige Lebensgrundlage für sie und für künftige Generationen ist, die man dringend bewahren muss. Es gilt dabei der Spruch:
Man schützt und bewahrt nur das, was man kennt.
Monitoring von Forstinsekten hat Tradition
Essentiell ist die Aufforderung des Autors, ein nachhaltiges flächenrepräsentatives Monitoring von Insektenarten zur Verbesserung der Datenbasis durchzuführen, sowie der Appell an die Leser, dass jeder Garten- und Balkonbesitzer selbst etwas für die Insekten tun kann. und das sogar sehr kurzfristig und ohne nach der Politik zu rufen.
Naturgemäß standen bei meiner Arbeit im Waldschutz die „Schadinsekten“ im Fokus, die die Waldbäume immer wieder bedrohen, wenn sie unter bestimmten Bedingungen sich stark vermehren. Da unsere Disziplin „Forst-Entomologie“ schon nahezu 200 Jahre alt ist, verfügen wir Forst-Entomologen über ein reiches Wissen über diese Insekten, vor allem wann und wo sie auftreten können.
Dies geschieht bei manchen Arten in regelmäßigen Zyklen. Die gefährlichsten Arten werden schon seit Jahrzehnten mit einem flächendeckenden Monitoring überwacht.
Leider repräsentieren diese Schadinsekten nicht die gesamte im Wald lebende Insekten-Fauna, so dass über indifferente (“ungefährliche“) Insekten allenfalls punktuelles Datenmaterial über deren Populationsentwicklung in den letzten Jahrzehnten vorliegt.
Bekämpfung von Schadinsekten im Forst ist Ausnahme, nicht die Regel
Bei für bestimmte Baumarten bedrohlichen Massenvermehrungen (Gradationen) von Insektenarten, wie z. B. dem Schwammspinner oder dem Eichenprozessionsspinner (beides Nachtfalterarten) wurden Mitte der 1990er und Mitte der 2000er Jahre in einigen Waldgebieten von Baden-Württemberg Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Raupen mit amtlich dafür zugelassenen Insektiziden durchgeführt.
Dies geschah immer nach einer intensiven Befalls-Prognose und Risiko-Analyse auf Antrag der betroffenen Waldbesitzer und im Einvernehmen mit den betroffenen Behörden. Mit NGO´s war nicht immer ein Konsens zu erzielen. Die Behandlungen erfolgten auf vergleichsweise kleinen Flächen.
Ziel der Einsätze war es immer, ökologisch und ökonomisch wertvolle ältere Eichenbestände vor dem Absterben zu bewahren. Gleichzeitig sollten dadurch die Nebenwirkungen auf nützliche Nichtziel-Insektenarten, wie die Schlupfwespen oder Laufkäfer minimiert werden.
Auch bei der aktuell zur Erhaltung der Fichtenbestände wieder unerlässlichen Borkenkäfer-Bekämpfung (s. auch BZ vom 06. März 2019) wurden und werden nur im äußersten Notfall Insektizide eingesetzt und zwar niemals flächig über dem Wald. sondern nur die geschlagenen Stämme dürfen an Waldwegen gespritzt werden.
In Naturschutz- und Wasserschutzgebieten sind Insektizide völlig tabu.
Viele, auch kommunale Waldbesitzer haben sich auch freiwillig verpflichtet, gar keine Insektizide einzusetzen und dadurch ggf. höhere ökonomische Verluste in Kauf zu nehmen.
Somit trägt und trug der Insektizid-Einsatz, der stereotyp an erster Stelle als Verursacher des Insektenschwunds genannt wird, in Wäldern nur in sehr geringem Ausmaß zum Insektenschwund in Baden-Württemberg, aber auch in anderen Bundesländern, bei.
Monitoring für indifferente Arten im Lebensraum Wald notwendig
Obwohl der Lebensraum Wald bzw. die Forstwirtschaft in dem BZ-Leitartikel nicht angesprochen wurde, ist es mir wichtig, diesen Aspekt für die weitere Diskussion, die durch das Volksbegehren in Bayern erst richtig an Fahrt aufgenommen hat, in Erinnerung zu rufen.
Ungefähr 38% der Landesfläche von Baden-Württemberg sind bewaldet. Die Wälder sind bei uns noch bzw. auch wieder weiträumig relativ naturnah und bieten damit vielen Insektenarten Lebensraum ohne allzu große Beeinträchtigungen durch menschliche Aktivitäten.
Gleichwohl treffen auch im Wald immer wieder konkurrierende und kontroverse gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Interessen und Ansprüche Art und Technik der Holznutzung, Wald als Ort der Freizeitgestaltung u. a.) aufeinander. Diese müssen von den Fachleuten bewertet und von der Politik so in Einklang gebracht werden, dass z. B. die Artenvielfalt nicht darunter leidet.
Deswegen ist es notwendig, auch für nicht schädliche Insektenaren im Waldökosystemen ein landesweites repräsentatives Monitoring zu etablieren, um bei bedenklichen Entwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können.
Situation der Insekten in der Feldflur
Was mir bei der Diskussion über die Verantwortung der Landwirtschaft für den Rückgang der Insekten stört, ist das apodiktische Urteil, dass der Pestizid-Einstz der einzige „Killer-Faktor“ sein soll.
Fakt ist aber, dass es nicht nur die Pestizide sind, die den Insekten entweder direkt durch Insektizide oder indirekt, durch weitgehende Eliminierung der Blütenpflanzen auf den Äckern durch den Einsatz von Herbiziden, zusetzen.
In Regionen mit viel Grünlandbewirtschaftung für die Viehhaltung, wie sie auch hier im Schwarzwald praktiziert wird, sind es auch die häufigen Mahden der Wiesen mit nachfolgender Gülle-Ausbringung, die vor allem für blütenbesuchende Insekten problematisch sind.
An Blumen sieht man auf solchen Turbo-Wiesen meist nur noch Gänseblümchen, Löwenzahn und Gelben Hahnenfuß im Frühjahr vor dem ersten Schnitt. Danach haben die für viele Insekten als Nahrungsquelle wichtigen Blumen keine Chance mehr zu blühen, geschweige denn sich auszusäen. Für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge ist da nicht viel mehr Pollen und Nektar zu holen als auf einem mit Herbizid gespritzten Getreide- oder Maisfeld.
Situation der Insekten in Gärten, Grünanlagen und an Grün im Bereich von Verkehrswegen
Sehr ähnlich, nur mit Mineraldünger statt Gülle, werden auch die überall verbreiteten monotonen englischen Rasen in vielen öffentlichen Grünanlagen sowie in privaten Hausgärten und Kleingarten-Anlagen behandelt. Immer mehr Rasenflächen werden - das ist der Gipfel der Öko-Barbarei - geschottert oder gekiest und mit ein paar verlorenen Deko-Pflanzen als grünes Alibi versehen, meist beraten von einem „Unternehmen für Garten- und Landschaftsgestaltung“.
Dabei wissen die meisten Leute nicht, dass z- B. die Raupen von vielen bunten Schmetterlingsarten auf die verhasste Brennnessel als Futterpflanze angewiesen sind.
Gerade solche Fakten sollten immer wieder unter den Lesern der BZ und in anderen Medien immer wieder verbreitet werden. Es ist manchmal so leicht, vielen bedrohten Insektenarten kurzfristig zu helfen, solange noch Restpopulationen dieser Arten in der Nähe vorhanden sind.
Auch Pflegetrupps von Straßenbauverwaltungen und kommunalen Bauhöfen behandeln die Grünflächen an Verkehrswegen oft nicht sehr insektenfreundlich. Die Grünflächen werden häufig viel zu früh gemäht, wenn die Bankette und Böschungen noch in voller Blüte stehen, aber keine Beeinträchtigungen des Verkehrs durch den Bewuchs erkennbar sind. Gehölze werden bisweilen noch während der Vogelbrutzeit mit Schredder-Maschinen mehr zerfetzt als geschnitten., was nicht nur den Vögeln und Insekten, sondern auch den Gehölzen nicht zuträglich ist.
Es scheint auch immer mehr Baum-Gutachter zu geben, die öffentlichen und privaten Grundbesitzern die Entfernung größerer Bäume anraten. Gründe dafür lassen sich immer finden, z.B. weil sie angeblich schwer krank sind und im Schadensfall die Haftpflicht-Versicherung womöglich nicht für eintretende Personen- und Sachschäden aufkommt.
Fakt ist, dass bei starken Stürmen, bei denen die meisten Schäden innerhalb der Ortschaften entstehen, auch gesunde Bäume umfallen oder Äste abbrechen können. Das ist eine Frage der Physik. Ein Null-Risiko gibt es nicht, es sei denn man sägt alle größeren Bäume ab.
Ich beobachte in Freiburg, aber auch in vielen anderen Ortschaften in der Region, wie ganze Wohnquartiere, Kirchplätze, Friedhöfe und sogar Kleingarten-Anlagen sukzessive „entbaumt“ werden mit allen Folgen für die Biodiversität, natürlich besonders auch für Vögel und Insekten, die auf ältere Bäume, die auch einmal ein Loch im Stamm haben, angewiesen sind.
Dass dadurch vielerorts auch das Mikroklima negativ beeinflusst wird, konnte man im Hitzesommer 2018 an vielen Orten schon spüren. Oft werden noch nicht einmal Ersatzbäume gepflanzt, ein Indiz, dass es da nicht immer nur um die Krankheit der Bäume und die Sicherheit, sondern darum geht, z. B. mehr Sonne zu genießen oder laute und kotende Vögel, klebrigen Lauskot („Honigtau“), herabfallende Blätter und Früchte oder viele Gründe mehr, um den Baum loszuwerden. Was kümmern da Insekten, wenn es ums Wohlgefühl, Bequemlichkeit und Kostenersparnis geht?
Auch der Einsatz von Pestiziden in Gärten und auf Grünflächen gehört in diese Rubrik und wird als Ursache für den Insektenschwund meist außer Acht gelassen. Da werden erhebliche Mengen - deutlich mehr als auf der gesamten Waldfläche - ausgebracht.
Es wurden zwar viele Vorschriften für private Anwender ohne Sachkunde.Nachweis immer wieder verschärft, aber nach wie vor kann man In den einschlägigen Garten-Centern und Baumärkten bekommen, was der Gartenfreund begehrt, aber den Insekten nicht immer zuträglich ist. Es gibt eben leider nicht für jedes schädliche Insekt ein selektiv wirkendes Insektizid und was macht man schon, wenn z. B. der Buchsbaumzünsler die schöne Hecke im Vorgarten abfrisst?
Jeder kann den Insekten helfen
Ich denke, diesen Aspekt, dass viele Menschen, die das Insektensterben beklagen, sich vielleicht auch bei der eigenen Nase fassen sollten, wenn sie sehen, wie sie selbst mit der Vegetation auf ihrem eigenen Grundbesitz umgehen, bzw. im Auftrag von Grundbesitzern handeln, kann man nicht genug betonen,
Erst wenn man selbst mit der Vegetation, die die Nahrungsgrundlage für viele Insekten und andere Tiere bildet, selbst sorgsam umgeht, kann man auf andere Gruppen wie die Landwirte zeigen. Man muss dann aber auch bereit sein, die kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft zu unterstützen, indem man auch bereit ist, höhere Preise für deren Produkte zu bezahlen.
Schließlich muss auch der Druck auf die Kommunalpolitik, nicht immer noch mehr landwirtschaftliche Flächen in in Gewerbe-, Wohn- und Verkehrsflächen umzuwandeln und dadurch weitgehend zu versiegeln, deutlich erhöht werden.
Der Flächenfraß zerstört kontinuierlich (pro Tag deutlich mehr als 50 Hektar in Deutschland) den Lebensraum von Flora und Fauna.
Die sich ausbreitenden Siedlungsflächen vor allem in den Verdichtungsräumen ist auch mit einer Zunahme von Lichtquellen verbunden, die oft auch Todesfallen für Insekten sind. Auch dieser Aspekt wird in der Diskussion zum Insektenschwund wenig beleuchtet, sind doch viele Insekten nachtaktiv und orientieren sich zum Licht (Phototaxis).
Deswegen können die Lichtquellen aktuell auch vor Ort Hinweise liefern, wie viele Insekten an einem Ort noch vorhanden sind.
Aufgrund von eigenen Beobachtungen weiß ich; Flogen vor ca.30 Jahren noch Scharen von Nachtfaltern während warmer Sommerabende durch die offene Balkontür in mein beleuchtetes Wohnzimmer, so sind es seit etwa zehn Jahren nur noch einzelne Exemplare, aber nicht an jedem Abend.
Ältere Menschen können sich noch an Haufen toter Insekten unter Straßenlaternen erinnern. Dass da heute weniger liegen, liegt nicht nur am insektenfreundlicherem Licht der neuen Lampen.