Meinung / Kommentare

Übersicht: 

1. Themenbereich Waldschutz / Forstwirtschaft

1.1 Kommentar zu "Ende der Fichtenplage"

1.2 Anmerkungen zur aktuellen Borkenkäfer-Problematik in unseren Wäldern

1.3 Anmerkungen zur weltweiten Waldbrandsituation

 

2. Themenbereich Biodiversität und Naturschutz

2.1 Kommentar zu "Mehr Wildnis wagen"

2.2 Kommentar zu "Sommer der Stille"

 

3. Thema Insektenschwund

3.1 Kommentar zu "Insektenschutz voranbringen"

 

4. Thema Vogelschwund

4.1 Anmerkungen zu "Die Ursachen der Vogel-Verluste in den letzten drei Jahrzehnten"

 


1. THEMENBEREICH: Waldschutz / Forstwirtschaft

1.1 Kommentar zu „Ende der Fichtenplantage“

Der Spiegel Nr. 24 / 2022 S. S. 92A (Autorin: Susanne Götze)

 

Juni 2022

 

Resümee

Leider wird die Diskussion über den Wald und besonders über die Fichte immer ideologischer und bisweilen emotional polarisierend geführt. Um hierbei nicht immer nur die lautesten Schreier zu Wort kommen zu lassen, habe der Spiegel mit seinen akribisch recherchierten Beiträgen, ebenso wie andere Medien, die dies gleicherweise tun, eine wichtige Funktion bei der Versachlichung des öffentlichen Diskurses. 

 

 

Es ist das Verdienst der Spiegel-Redaktion „Wissen“, die Diskussion über Klima-, Umwelt-, Natur-, Arten-, und auch Waldschutz mit intensiv recherchierten, anschaulich illustrierten und verständlich formulierten Beiträgen zu bereichern und zu verstetigen. Dieses Ziel verfolgt sicherlich auch der Beitrag zu den Fichtenplantagen. Aufgrund seiner Kürze kann er jedoch das Fichten-Problem des deutschen Walds und die kontroversen Meinungen zu diesem Thema nur sehr oberflächlich darstellen.

 

Natürlich ist das Problem viel komplexer und verlangt viele grundlegende Kenntnisse über die Anatomie und Physiologie der Baumart Fichte, deren natürliche geografische Verbreitung, deren abiotische und biotische Gefährdungen und deren ökonomische Bedeutung für die Waldbesitzer, die Verwertungskette und die Volkswirtschaft sowie auch deren Nutzungsgeschichte.

In meinen unten stehenden „Anmerkungen zur aktuellen Borkenkäfer-Problematik in unseren Wäldern“ habe ich z. B. ausgeführt dass das Desaster in den Dürrejahren 2017-2020 vielerorts „hausgemacht“ war. Es hätte diese Bilder wie im Harz und an vielen anderen Orten nicht geben müssen, hätte man flächendeckend ein permanentes Borkenkäfer-Monitoring sowie eine gezielte Prävention und -Bekämpfung flächendeckend praktiziert.

 

Im Schwarzwald sind und waren solche Bilder mit vergleichbar großflächig absterbenden Fichtenwäldern kaum zu sehen, obwohl die Temperaturen zumindest in den unteren und mittleren Höhenlagen deutlich höher sind als in den Hochlagen des Harzes.

Noch extremere Bedingungen während Hitze- und Dürreperioden müssen die Fichten in der Oberrheinebene aushalten, die es dort vielerorts einzeln oder in kleinen Gruppen in Gärten, Parks oder in der Feldflur sogar in Weinbergen - gibt. Diese überlebten dort, weil keine lokalen Borkenkäfer-Populationen vorhanden sind, die ihnen gefährlich werden könnten. Gegen Hitze und Trockenheit allein erweisen sich diese Fichten aber als erstaunlich resilient.  

 

Meine lapidare Schlussfolgerung lautet somit im Gegensatz zum Befund im Spiegel-Beitrag:

 

Fichten-Plantagen: Nein. Mischwälder mit einer dem jeweiligen Standort angepasster Beteiligung der Fichte: Ja! 

Ca. 70 Jahre alte Fichte in einer nach Westen exponierten Rebanlage nahe Auggen im Markgräflerland südlich von Freiburg i.Brsg.
Ca. 70 Jahre alte Fichte in einer nach Westen exponierten Rebanlage nahe Auggen im Markgräflerland südlich von Freiburg i.Brsg.

1.2 Anmerkungen zur aktuellen Borkenkäfer-Problematik in unseren Wäldern

August 2020

 

1.  Resümee

Hitze und Trockenheit setzen unseren Wäldern in einem Ausmaß zu, wie es in diesem und letzten Jahrhundert nie der Fall war. Immer wieder auftretende Winterstürme zerstören vielerorts das Bestandesgefüge und verschärfen Austrocknungseffekte. Nicht rechtzeitige Entfernungen von Sturmholz entfachen Borkenkäfer-Befall allerorts.

Die Reduzierung von Forstpersonal, das immer größere Flächen betreuen muss, und von betriebseigenen Waldarbeitern war und ist kontraproduktiv bei der Bewältigung von Schadereignissen, die immer häufiger eintreten. Aber  auch das Knowhow für eine effiziente  Prävention und Bekämpfung von Borkenkäfern sind vielerorts nicht optimal vorhanden. Zu starre Rechtsvorschriften und mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung tragen ebenfalls dazu bei, weil die irrige Meinung transportiert wird, die Fichte gehöre nicht (mehr) in unsere Wälder und der Einsatz von Insektiziden ist grundsätzlich des Teufels. Dabei geht es darum. dass manche Bewirtschaftungsformen und Standorte nicht für die Fichte geeignet sind und sie anfällig macht für Sturm- und Borkenkäferschäden. Diese Fehler müssen in Zukunft vermieden werden durch standortgemäße Baumartenwahl und Bewirtschaftungsformen. Wird die Zahl der potenziellen Brutbäume durch Absenkung der Fichten-Anteile reduziert, lassen sich auch bei höheren Temperaturen die Borkenkäfer besser unter Kontrolle halten und Kalamitäten des aktuellen Ausmaßes vermeiden. 

 

2.  Wodurch werden Borkenkäfer-Kalamitäten ausgelöst?

Zweifellos stellen die Borkenkäfer neben den Stürmen die größte Gefahr vor allem für die fichtenreichen Waldgebiete in Mitteleuropa dar.  Borkenkäfer-Kalamitäten sind eine Erscheinung, die schon seit 150 Jahren in Mitteleuropa belegt ist. Deswegen kann man auch die aktuelle Kalamität  nicht allein dem Klimawandel zuschreiben. 

Folgende zwei essentielle Voraussetzungen für die Entstehung einer Borkenkäfer-Massenvermehrung (Gradation), die zu großen Schäden (Kalamität) führt, müssen gegeben sein:

  • Es muss im Frühjahr zum ersten Flug der Käfer umfangreiches attraktives Brutmaterial vorhanden sein, um eine örtliche Massenvermehrung der gefährlichsten Borkenkäferart, des Buchdruckers (Ips typographus) auszulösen. Dies ist vor allem nach großen Sturm- und Schneebruch-Ereignissen gegeben, wenn das Schadholz nicht rechtzeitig beseitigt oder vor Ort brutuntauglich gemacht wird.
  • Dem Sturmereignis folgen trocken-heiße Witterungs-Perioden während der Vegetationsperioden in den Folgejahren, dazu oft noch weitere Sturmereignisse in den folgenden Wintermonaten oder Gewitterstürme im Sommer.

Beide Voraussetzungen waren in Südwestdeutschland in letzten 30 Jahren nach den Stürmen “Wiebke“ (1990),“Lothar“ (999) und „Burglind“ (2018) immer wieder gegeben. Bei „Kyrill“ (2007) blieb eine größere Kalamität in BW weitgehend aus, weil zum einen der Sturmholzanfall geringer war und zum anderen die Sommer in den Jahren 2007 bis 2010 nicht so extrem heiß und trocken waren wie nach den anderen Sturmereignissen. Dies zeigen die anlegenden Grafiken zu den “zufälligen Nutzungen (= nicht planmäßige) Holznutzungen aufgrund von Schadereignissen) für die Jahre 1986-2019. Die als Insektenholz bezeichneten Nutzungen bestehen immer fast zu 100% aus borkenkäferbedingten Holznutzungen.

Jedoch gilt auch für trocken-heiße Sommer: Ohne erhöhte Borkenkäfer-Populationen in der Nähe hält die Fichte erstaunlich große Hitze und Trockenheit aus. Dies zeigen z. B. auch viele einzeln stehende Fichten oder Fichtengruppen im Siedlungsbereich und in der Feldflur in der Oberrheinebene. Diese oft bis 80 Jahre und älteren Bäume haben bis dato alle extremen Stürme, Hitze, Dürre und Käferjahre gut überstanden.

Einmal liegt es daran, dass die Fichte nicht auf allen Standorten, wie oft behauptet, flach wurzelt.

Sie tut das auf staunassen Böden und auf Böden, die im Untergrund eine dichte Tonschicht aufweisen. Auf lockeren, steinigeren und sandigeren Böden wurzelt auch die Fichte tiefer. Am tiefsten wurzelt sie in steilen Felswänden, was man überall hierzulande sehen kann.

Weiterhin besitzen Fichten-Nadeln eine dicke Wachsschicht und eingesenkte Spaltöffnungen und haben damit einen sehr wirksamen Verdunstungsschutz. 
Also: Fichte gleich Flachwurzler und deshalb nicht widerstandsfähig gegenüber Trockenheit trifft nicht generell zu!

Während in den letzten drei Jahren viele Fichten in sehr warmen Gebieten überlebten - ich muss nur aus dem Fenster schauen -  brachten die Borkenkäfer tausend Meter höher rund um den Feldberg im Sommer 2018 und 2019  an vielen Orten ganze Fichtenbestände flächig zum Absterben.

Aufgrund dieses Sachverhalts sollte man die Modelle zur künftigen Verbreitung der Fichte in BW, die hauptsächlich an Durchschnittstemperatur- und -niederschlagswerten orientiert sind, einmal genauer daraufhin überprüfen, wie hoch der Anteil von Hitze und Trockenheit  und wie hoch der Borkenkäfer-Effekt aufgrund der Vernachlässigung der "sauberen Wirtschaft einzustufen" ist. Einer der "Forstschutz-Päpste" des letzten Jahrhunderts hat ein ganzes Buch über "Wald-Hygiene" geschrieben. Er beschreibt darin alle wichtigen Präventiv-Maßnahmen gegen Borkenkäfer-Massenvermehrungen.

Dass die kühlere Witterung oberhalb 1.000 m ü. NN im Schwarzwald keine Versicherung gegen massiven Borkenkäfer-Befall mehr ist, zeigt der Bannwald „Napf“ am Feldberg, den ich schon seit 1994 im Visier habe. Zu diesem Bannwald gibt es eine auf meine Initiative durchgeführte Untersuchungen zur Ausbreitung des Borkenkäfer-Befalls in einem nicht bewirtschafteten Waldgebiet, deren Ergebnisse auch veröffentlicht wurden. Auch ein sehr kalter Winter bringt nicht viel bezüglich der Mortalität der Käfer: Diese Borkenkäfer sind bis an die alpine und nördliche Verbreitungsgrenze der Fichte verbreitet, wo sie zwei Jahre für die Entwicklung vom Ei zum Vollkern benötigen anstatt zwei Monate und weniger bei uns.

 

3.  Wie kann der Borkenkäfer-Befall eingedämmt werden?

In trocken-heißen Sommern, wenn aufgrund der kurzen Entwicklungszeit vom Ei zum Vollkern der Befall explosionsartig fortschreitet, darf keine Totenbestattung von Bäumen mit ausgeflogenen Käfern erfolgen, zumal wenn die Holzpreise im Keller sind. Bei großen Befallsfronten mit noch besiedelten Stämmen hilft meist nur noch die „Ultima Ratio: die Anwendung von zugelassenen Insektiziden der Wirkstoffgruppe Pyrethroide ist in solchen Not-Situationen auch ökologisch vertretbar.

Diese Insektizide dürfen nur auf die gefällten Stämme an Wegen, also nicht flächig ausgebracht werden. Sie trocknen schnell an und die Gefahr, dass nach der Behandlung z. B.  Bienen oder andere nützliche oder harmlose Insekten zu   Schaden kommen, ist gering. 

Leider ist diese in Ausnahme-Situationen wirksame und gesundheitlich wie ökologisch vertretbare Maßnahme vielerorts nicht möglich oder massiv erschwert, weil viele Waldbesitzer ihre Wälder nach PEFC oder gar nach FSC zertifizieren ließen oder eine Schutzgebiets-Verordnung  den Einsatz von Insektiziden grundsätzlich ausschließt. Es scheint auch immer weniger Forstpersonal und Waldbesitzer mehr bereit zu sein, diese „Notbremse“ zu ziehen, auch wenn die entsprechenden Verordnungen Ausnahmen zulassen. Es droht den Leuten der Pranger bzw. neudeutsch ein Shitstorm, nicht nur in den örtlichen Medien, sondern auch im Internet. Dann verweist man doch lieber gleich auf den Klimawandel, der den Käfer unbeherrschbar macht. Das findet eher Akzeptanz in der Öffentlichkeit.

Dass eine wirksame Borkenkäfer-Bekämpfung durchaus möglich ist, zeigen z. B. die Schutzzonen, die an den Grenzen zu den Wirtschaftswäldern in den Nationalparks (NP) Bayerischer Wald und Schwarzwald ausgewiesen wurden.

Im NP Bayerischer Wald war ich selbst daran beteiligt, als ich 1998 Mitglied einer vom zuständigen Staatsministerium eingeladenen internationalen  Experten-Kommission war: Diese hat meinen Vorschlag einer 500m breiten Schutzzone übernommen. Dies geschah nicht zur Freude des damaligen Ministers und des NP-Direktors, der immer wieder die Ungefährlichkeit des Borkenkäfers beschworen hatte. 

Ich konnte mich auf Befunde von Untersuchungen von Sturm-Bannwäldern   stützen, die nach „Wiebke“ 1990 in BW ausgewiesen wurden und sozusagen den Borkenkäfer-Worst-Case darstellten, weil auf diesen Flächen alles Sturmholz liegen blieb und auch recht trocken-warme Sommer dem Sturmereignis folgten.

Die vorgeschlagene Zone im NP Bayerischer Wald, in der eine permanente und konsequente Überwachung und Bekämpfung der Borkenkäfer durchgeführt wurde und wird, hat einen massiven Durchbruch der Befalls-Fronten und damit Schadensersatzforderungen der Waldbesitzer an den NP, die für den Fall des Durchbruchs zugesagt waren, weitgehend verhindern können.

Nur durch Übernahme dieses Systems konnten im Nordschwarzwald in der heißen Phase der Diskussion um den Nationalpark die Gemüter der vielen angrenzenden Waldbesitzer beruhigt werden.

Im Herbst 2019 sagte mir der Leiter des NP Schwarzwald, die Schutzzone halte noch und sie zeichne sich schon jetzt als grünes Band um den NP herum ab. Wenn allerdings die angrenzenden Waldbesitzer nicht mitziehen und die Zone von beiden Seiten attackiert wird, wird sie wohl nicht zu halten sein.

Was die Käfergefahr in den letzten zwei Jahrzehnten neben Sturmschäden, Hitze und Trockenheit zusätzlich sozusagen hausgemacht erhöht hat, ist die gängige Praxis, rund ums Jahr bei der Holzernte Harvester (Vollernter) einzusetzen. Da werden Sommerhiebe durchgeführt und das Holz bleibt im Bestand oder an der Waldstraße liegen, wo sich die Käfer in Rekordzeit munter entwickeln können. Vielleicht werden die Stammholz-Abschnitte manchmal noch rechtzeitig vor Ausflug der Jungkäfer abgefahren. Es bleiben aber oft noch beträchtliche Restholz-Haufen, hauptsächlich Gipfelstücke, verstreut im Wald liegen.

Dieses Restholz besteht  meist auch aus dickeren Stücken, die Zeitbomben darstellen, weil sie ideale Brutstätten für Borkenkäfer sind. Dies wird von den Verantwortlichen oft viel zu wenig beachtet.

Der häufig an diesen Orten zu beobachtende angrenzende Stehendbefall in unmittelbarer Umgebung der Haufen ist aber der untrügliche Beweis.

Ob in der Endabrechnung der Harvester-Einsatz deshalb immer die wirtschaftlichste  Lösung bei der Holzernte ist. darf angesichts der z. T. beträchtlichen Folgeschäden bezweifelt werden, wenn dem Harvester nicht stante pede die Abfuhr und der Häcksler folgen.

Für die klassische Ernte mit der Motorsäge stehen immer weniger betriebseigene ortskundige Waldarbeiter zur Verfügung. Auch in der Forstwirtschaft haben die Werkverträge mit privaten Unternehmern ihren Siegeszug angetreten. Manche Maschinenführer kennen sich in den Karpaten besser aus als im Schwarzwald oder im Westerwald.

 

4.  Anmerkungen zur Wiederbestockung abgestorbener Waldflächen

Was die Wiederbestockung der aktuell aufgrund von Trockenheit und Käferbefall freigelegten Waldflächen betrifft, halte ich es für reinen Aktionismus, wenn sich Bund und Länder mit  Master-Plänen und vielen Millionen Euro für Waldbesitzer   gegenseitig überbieten. Vielmehr ist Besonnenheit und Geduld angezeigt.

Dazu gehört eine sorgfältige Bestandsaufnahme und eine Analyse aller Rahmenbedingungen, bevor man Millionen Forstpflanzen in den Boden reinhaut, die wenig später vertrocknen, erfrieren, von Mäusen abgenagt oder vom Wild verbissen werden.

Aus den Erfahrungen nach den Stürmen  „Wiebke“ 1990 und „Lothar“ 1999 kann man hier in BW gut aufbauen. Diese vom Sturm kahl gelegten Freiflächen waren in allen Regionen des Landes vorhanden. Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) BW, an der ich bis 2012 die Abteilung Waldschutz geleitet habe, hat viele Wiederaufforstungs-Varianten bis hin zu natürlichen Sukzessionsflächen wissenschaftlich betreut und ausgewertet. Man muss sich aber die Zeit nehmen und zumindest die Zusammenfassungen der zahlreichen einschlägigen Veröffentlichungen lesen, die sich mit diesem Thema wie natürlich auch mit dem Borkenkäfer-Thema befassen.

Man sollte m. E. auch die Fichte unbedingt weiterhin als Mischbaumart mit berücksichtigen aufgrund ihrer großen ökologischen Breite. Man findet sie noch immer von der Ebene bis zur alpinen Baumgrenze und von den europäischen Mittelmeer-Ländern  bis zur nördlichen Baumgrenze in Skandinavien und Russland. Geringere Flächenanteile dürften künftig auch die Gefahr durch Sturm und Borkenkäfer deutlich mindern. Jüngere Fichten haben im Gegensatz zu anderen Baumarten hier in BW nur wenige Forstschutz-Probleme, wenn keine überhöhten Rot- und Gamswildbestände vorhanden sind. Da überall noch Samen-Bäume stehen, verjüngt sie sich natürlich, auch dort, wo Birken, Aspen und Weiden zunächst einen Vorwald bilden. Es entstehen also keine Pflanzkosten.

Gut überstanden haben die Hitze und Trockenheit bislang neben der Tanne (außer auf flachgründigen Sommerhang-Standorten) die Eiche und die Linde, aber z. B. auch der Feldahorn, dem man an Waldrändern und in Gehölzen in wärmeren Regionen mehr Beachtung schenken sollte. 

Im übrigen gibt es landesweit zahlreiche Arboreten, wie z. B. in FR-Günterstal in Baden-Baden oder der berühmte Exotenwald in Weinheim. Dort hat sich in den letzten Jahren mit Sicherheit gezeigt, welche Baumarten von den mittleren geografischen Breitengraden Asiens und Nordamerikas oder solche aus südlicheren europäischen Gefilden die immer häufigeren Hitze- und Trockenperioden bisher gut überstanden haben.

Dazu zählen sicherlich nicht mehr Thuja und Tsuga aus den Regenwäldern der nordamerikanischen Westküste, wo sie auch schon absterben. Die Douglasien haben sich bei uns vielerorts bewährt. Da bisher meist die Küsten-Variante „viridis“ gepflanzt wurde, sollte man künftig bei uns auch die trockenresistentere kontinentale Form „glauca“  mit berücksichtigen.

Hier sollte sich der Naturschutz offener zeigen für neue Wege mit nicht autochthonen Baumarten. Es geht ja nicht darum, jetzt riesige Plantagen mit vielleicht auch nur vermeintlich trockenresistenten Baumarten anzupflanzen. Die ausgedehnten Eukalyptus-„Wälder“ in Portugal und Nordspanien sowie die tausende Hektar umfassenden  Kiefern-Monokulturen in den Landes in Südwest-Frankreich sollten ein abschreckendes Beispiel sein. Viele dieser Wälder werden immer wieder Opfer von Stürmen und von infernalischen Waldbränden.

In Baden-Württemberg ging die Reise schon seit langem weg von den Fichten-Reinbeständen hin zu naturnäheren, stabileren Mischbeständen. Dass Herr Wohlleben und andere Kritiker unserer Forstverwaltung da den Zug wohl verpasst haben mit ihren Talkshow-Tiraden auf die Monokulturen und Fichten-Holzäcker, die nur dem Profit dienen, ist offensichtlich. Seit meinem Eintritt in die Landesforstverwaltung BW 1975 sank der Fichtenanteil in BW von ca. 45% auf ca. 35% heute. 

In meiner Zeit im Forstamt Gaildorf (Kreis Schwäbisch Hall) von 1986 bis1989 wurden viele Hektar Fichten-Reinbestände bereits mit Tannen und Buchen unterpflanzt bei allen Besitzarten. Es gab dafür erhebliche Fördermittel als Präventiv-Maßnahme gegen das damals noch aktuelle Waldsterben 1.0 und wegen der Sturmanfälligkeit der Fichtenbestände auf den dortigen Keuper-Standorten.

Die Beschleunigung des Waldumbaus war neben der Verbesserung der Luft-Qualität  ein sehr positiver Effekt der seinerzeitigen Diskussionen um das Waldsterben in den 1980-er Jahren.

 

 


1.3 ANMERKUNGEN ZUR WELTWEITEN WALDBRAND-SITUATION

August 2021

 

Seit 2012  bin ich im Ruhestand und verfolge die Klimafolgen für die Wälder weiterhin mit großem Interesse. Als Forstwissenschaftler mit Spezialisierung im Fach Waldschutz war ich in meiner aktiven Dienstzeit bereits in den 1990-er Jahren mit den Folgen des Klimawandels in den Wäldern Südwestdeutschlands konfrontiert: Nach den Sturmtiefs „Wiebke“ (1990) und „Lothar“ (1999) mit  Millionen Kubikmetern Sturmholz galt es schon damals, in den nachfolgenden trocken-heißen Sommern vor allem die Borkenkäfer im Zaum zu halten. Das extreme Trocken- und Hitzejahr 2003 hatte vielerorts verheerende Folgen bei nahezu allen Baumarten in allen Höhenlagen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Womit ich während meiner Dienstzeit nie etwas zu tun hatte, waren Waldbrände. Davon blieb BW bisher noch (!) fast völlig verschont, Aber die Häufigkeit und das Ausmaß der Waldbrände in Ostdeutschland, vor allem in Brandenburg, machen einen schon sehr besorgt.

Mich hat aber vor allem eine dpa-Meldung aus Russland im Juni wieder hochgeschreckt, wonach in Sibirien im ersten Halbjahr 2020 bereits 1,4 Millionen Hektar Wald abgebrannt sind. Das entspricht ziemlich genau der gesamten Waldfläche von Baden-Württemberg. Nur auf ca. 10% der Brandfläche waren Löschtrupps unterwegs, um die Brände einzugrenzen. 

2019 sind laut dpa in Russland bereits ca. 110.000 qkm Waldfläche abgebrannt. Das entspricht etwa der gesamten Waldfläche von Deutschland. 

2021 herrschte wieder eine außerordentliche Hitze und Dürre in großen Teilen Russlands und wieder brannten Wälder. Das Ausmaß ist mir noch nicht bekannt. Es dürfte ähnlich oder noch größer sein.

Nach einem Bericht in der Badischen Zeitung vom 28.08.21, der sich auf eine auf russischen Quellen basierende AFP/dpa-Meldung bezieht, sind im Sommer 2021 bislang 17,3 Mio. Hektar Waldfläche verbrannt. Das entspricht einer Fläche, die 1,7 Mal so groß ist wie die gesamte Waldfläche in Deutschland. Allein in der sibirischen Teilrepublik Jakutien brannte mit 9,9 Mio. eine Fläche die fast der deutschen Waldfläche entspricht.

 

Der Bericht erwähnt, dass 9.000 Hilfskräfte und 32 Löschflugzeuge zur Bekämpfung der Brände im Einsatz waren. Angesichts der Dimensionen der Brände kann das nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen sein. 

Die Folgen der Brände für das Klima infolge der Freisetzung riesiger CO2-Mengen sowie für Flora und Fauna scheinen in Russland kein Anlass zu sein, die Löschkapazitäten massiv hochzufahren. 

Natürlich werden diese Brände dem Klima nicht zuträglich gewesen sein. Addiert man die Brandflächen vom übrigen Europa, Nord- und Südamerika sowie im übrigen Asien und in Australien dazu, so kommt allein für 2019 bis 2021 eine gigantische Summe an Brandfläche und damit auch eine CO2-Freisetzung in die Atmosphäre zusammen zusätzlich zum CO2 aus anderen natürlichen Quellen und der Verbrennung fossiler Energieträger.

 

Mit Stand Oktober 2020 waren an der nordamerikanischen Westküste bereits mehr als 15.000 qkm Wald abgebrannt und es brennt ja noch immer. Von den verlorenen Menschenleben und gigantischen Verlusten von Hab und Gut ganz zu schweigen.

Der Aufschrei hierzulande hält sich in Grenzen. Man macht sich nur lustig über Präsident  Trumps unmöglichen Auftritt im Katastrophen-Gebiet in Kalifornien.

2021 hat sich auch an der USA-Westküste und im kanadischen Britisch Kolumbien bei Rekord-Temperaturen und -Dürre das Szenario wiederholt.

Tatsache ist dass durch diese Mega-Waldbrände viele Millionen Kubikmeter des nachwachsenden Rohstoffs und CO2-Speichers Holz, aber auch viele Wald-Tiere, die nicht vor der Feuerwalze davonfliegen oder sich in Erdhöhlen verkriechen können, vernichtet werden. Angesichts des weltweiten Populationsschwunds vieler Arten ein zusätzliches Desaster, dem viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsste.

Was ist zu tun?

Das Management der Prävention und Bekämpfung riesiger Waldbrände muss meines Erachtens eine Aufgabe der Weltgemeinschaft bzw. von überregionalen länder- und staatenübergreifenden Institutionen sein. 

Dafür müssten die reichen Länder wie Deutschland im eigenen Interesse viel mehr finanzielle, personelle, materielle und technische Ressourcen bereitstellen und viel mehr mit den stark betroffenen Ländern im Mittelmeerraum, aber auch z. B. mit Russland kooperieren.

Russlands Waldfläche ist mit ca. 8 Mio. qkm 80 mal so groß wie die Deutschlands mit rund 0,1 Mio. qkm. Die Bevölkerung von Russland ist mit 144 Mio. Einwohnern nicht einmal doppelt so groß wie unsere. Da kann man sich leicht ausrechnen, dass dort nicht alle 10 km eine Freiwillige Feuerwehr stationiert ist und einen Flächenbrand schnell mal löschen kann. Ein so dichtes Netz mit befahrbaren Waldwegen wie bei uns gibt es in der Taiga und auch in anderen Ländern, gerade auch im Mittelmeerraum, nicht.

 

Deswegen ist in Sachen Waldbrände die UNO bzw. zumindest die EU und eine „Koalition der Willigen“ der großen CO2-Emittenten gefragt. Sie müssten über eine Task Force mit internationalen Waldbrand-Spezialisten in ihren zentralen und dezentralen Einsatzstäben verfügen, die während der Waldbrand-Saison an Brennpunkten stationiert werden. Sie müssten schnell einsatzbereit sein und über das modernste technische Equipment zur Beobachtung, Aufdeckung und Eindämmung von Waldbränden, vor allem über eine

ausreichende Zahl einsatzbereiter Lösch-Flugzeuge und -Helikopter,

verfügen. Hier darf wie in anderen Bereichen des Katastrophenschutzes, der auch Klimafolgen-Schutz ist, nicht gekleckert werden! Die Folgekosten des Nichtstuns oder unzulänglicher Prävention sind meist um ein Vielfaches höher als die der Prävention (s. Hochwasser-Katastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen oder Corona Krise). 

Diese internationalen Aktivitäten müssen natürlich im Rahmen von internationalen Kooperations-Abkommen mit den jeweils betroffenen national zuständigen Behörden und Institutionen erfolgen.

 

Um bei Russland zu bleiben: Die borealen Nadelwälder, zu denen die russische Taiga gehört, sind die Lunge der eurasischen nördlichen Hemisphäre. Diese geht uns alle etwas an über alle politischen und ideologischen Differenzen hinweg. Gleiches gilt natürlich für alle übrigen weltweiten Waldbrand-Hotspots auf den anderen Kontinenten.

So sieht aktuell die Kooperation Deutschlands mit anderen Ländern aus: Gestern (07.08.21) wurde im ZDF gemeldet, dass NRW und Hessen einen Feuerwehr-Konvoi mi 19 Lösch-Fahrzeugen nach Griechenland schickt, um die dortigen Kräfte bei den seit Tagen an vielen Orten wütenden Bränden (Fläche bisher 600 qkm). Der Konvoi erreicht am 12.08. den Einsatzort. Da wird es noch ein paar Brände geben, aber für das Inferno um Athen und andere Orte kommt die Hilfe zu spät.

Bei den Bankrettungsaktionen 2010 war man deutlich schneller seitens D und der EU.

Aber über die eigentliche Hilfe, nämlich Löschflugzeuge und-Helikopter  verfügt Deutschland kaum, obwohl die Waldbrandgefahr auch bei uns gestiegen ist.

 

Gerade SW-Deutschland war bislang weitgehend verschont. Die Gefahr steigt aber von Jahr zu Jahr. Wir haben gerade in den Mittelgebirgen z. T. hohe Nadelholz-Anteile, die während Dürre-Perioden wie Zunder brennen. Steile Lagen sind nur schlecht mit Forstwegen erschlossen, so dass hier luftgestützte Einsätze unerlässlich sind. 

So könnte z. B. für den Schwarzwald, die Vogesen und den Jura im Dreiländereck ein trinationaler Einsatzstab geschaffen werden. Es gibt hier mehrere Flugplätze, die als Standort hierfür infrage kämen.

Ebenfalls wäre ein Standort im Grenzgebiet Rheinland-Pfalz, Saarland, Belgien, Luxemburg zu finden für Hunsrück, Eifel und die Ardennen.

Das Hochwasser an der Ahr hat uns gelehrt, das Undenkbare in Zeiten des Klimawandels zu denken. Das Handeln sind wir unserer Bevölkerung und den kommenden Generationen schuldig. Wenn aber weiterhin nur danach schauen, ob sich diese Investitionen nach kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Prinzipen von Wirtschafts-Unternehmen rechnen, wird man bei der Katastrophen-Prävention scheitern. 

 

Der Verfasser dieser Schrift, Ltd. Forstdirektor a. D. Dr. rer. nat. Hansjochen Schröter, war von 1990 bis 2012 Leiter der Abteilung Waldschutz bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg i. B.

 

Veröffentlichungen des Verfassers u. a. in fva-bw.de und in waldwissen.net

Brücke der historischen Eisenbahn bei Kelowna, British Columbia Kanada. Vor dem Brand im Jahr 2000 

Brücke der historischen Eisenbahn bei Kelowna, British Columbia Kanada. Nach dem Brand im Jahr 2003 



November 2023

 

Nachdem die Waldbrandflächen 2022 nicht so extrem groß waren, wurden im Sommer 2023 wieder große Waldflächen in Europa, Nordafrika und Nordamerika ein Raub der Flammen. Dabei kamen auch viele Menschen und ihr Hab und Gut zu Schaden.

 

In Europa waren die Mittelmeerländer und Portugal stark betroffen. 

 

Aber auch in Deutschland kam es zu einer größeren Anzahl von Bränden, vor allem im Bundesland Brandenburg. Die Brände konnten meist relativ schnell gelöscht werden, weil das Knowhow zur Einschätzung des Risikopotenzials und zu den Bekämpfungsstrategien sich bei den zuständigen Institutionen aufgrund der Erfahrungen aus den zurückliegenden Jahren offensichtlich deutlich verbessert hat.

 

Genaue Zahlen zu den Waldbränden findet man im Internet, z. B. bei Wikipedia oder bei dem Global Fire Monitoring Centre beim Max-Planck-Institute for Chemistry, Freiburg i. B. (Leiter: Prof. Dr. J. G. Goldammer).

 

Dennoch möchte ich anhand der Waldbrandsituation in Kanada das Ausmaß der diesjährigen Brände dort vor Augen führen:

In Kanada wurden bis zum 25.11.2023 6.660 Brände gezählt. Die Fläche umfasste insgesamt 185.000 qkm (Quelle: Wikipedia).

Es waren alle Provinzen und Territorien betroffen. 

Das gigantische Ausmaß wird deutlich, wenn man die Brandfläche mit der gesamten Waldfläche von Deutschland vergleicht, die „nur“ 106.660 qkm umfasst. Das sind ca. ein Drittel der Landesfläche. 

Die Brandfläche in Kanada entspricht somit nahezu der halben Landesfläche Deutschlands. 

Wie im Jahr 2003 waren auch wieder Wälder in der Umgebung von Kelowna (Britisch Kolumbien) betroffen. Die Fotos meines Neffen Andreas vom August 2023 zeigen die lodernden Flammen am Ostufer des Lake Okanagan, wo wieder mehrere Tausend Hektar Wald abbrannten. 

 

Die riesigen Waldbrandflächen 2023 sollten ein Weckruf und eine Mahnung an die Politik und die national und international zuständigen Institutionen sein, noch mehr Ressourcen für die Prävention, Überwachung und wo notwendig vor allem Bekämpfung der Waldbrände zur Verfügung zu stellen. Auch dies sind wichtige Investitionen für den Klimaschutz, die allererste Priorität genießen müssen - auch in Deutschland.

 

Aktuell werden viele Waldbrände aus Brasilien gemeldet, wo eine Hitze- und Trockenperiode herrscht, die durch das Klimaphänomen „El Nino“ verstärkt wird. 

 

Bis Ende November wurden in Brasilien schon mehr als 3.000 Brände gezählt. Neben Wäldern im Amazonasbecken sind auch Wälder im größte Binnen-Feuchtgebiet der Welt, dem Pantanal, das halb so groß wie Deutschland ist, von Bränden betroffen. Und die Trockenzeit hält noch an und betrifft auch Waldgebiete in anderen Länder in Südamerika.

 

 


2. THEMENBEREICH: Biodiversität und Natur- und Artenschutz

2.1 Kommentar zu „Mehr Wildnis wagen“

Der Spiegel Nr. 22 / 2020 S. 108-109 v.  23.05.2020, Autor: Phillip Bethge

 

Dieser sehr wichtigen Artikel zum Thema "Biodiversität“ kann als Fortsetzung des Artikels desselben Autors von 2017 (Der Stille Sommer“) angesehen werden. Leider sind die nachfolgenden Sommer noch stiller geworden, zumindest hier in meiner Umgebung, die ich regelmäßig durchstreife. Immer weniger Insekten summen und zirpen, immer weniger Vogelarten und -Individuen rufen aus der Luft, von Dächern, Bäumen und aus dem Gebüsch.

 

Biodiversität und Landwirtschaft

Einige Ursachen hierfür haben Sie ja in Ihrem Artikel erwähnt und sind auch im von Ihnen zitierten jüngst erschienen Bericht des  Bundesumweltministeriums (BMU) „Die Lage der Natur in Deutschland“ unerwartet ungeschminkt angesprochen. Die Diagnose, dass die intensive konventionelle Landwirtschaft eine große Verantwortung für den Artenschwund trägt, ist für viele Arten der Offenlandschaft zutreffend.

Wichtig erschien mir auch der Hinweis in dem Bericht, dass es nicht nur die Pestizide sind, die den Artenschwund verursachen, sondern auch eine zu intensive Grünlandbewirtschaftung mit zu häufigen Mahden (sechs und mehr) ( und Gülle-Gaben, die die zu großen Milch- und Mastviehbestände erfordern, aber das Stickstoff- und Nitrat-Problem verschärfen. Dass in diesem Stickstoff-Regen keine Magerrasen oder nährstoffarme Niedermoore existieren können, versteht sich von selbst. Außerdem verhindern die häufigen Mahden das Blühen  von nektar- und pollenspendenden Blumen sowie die Reifung von Samen, die vielen Arten als Nahrung dienen.

 

Dass die aktuelle Flächenförderung der EU-Subventionen keinen Anreiz gibt, die Intensität der Bewirtschaftung zu verringern, ist evident.

Ein weiterer Antreiber der Intensivierung ist aber auch der kontinuierliche Verlust von Agrarflächen durch Überbauung mit Wohn- und Gewerbeflächen, Verkehrswegen, Infrastruktureinrichtungen aller Art sowie, nicht zu vergessen, mit Sport- und Freizeiteinrichtungen, die auch immer üppiger und platzgreifender (Golfplätze!) werden.

Hier im Süden, wo die Landwirtschaft noch sehr kleinstrukturiert ist, zählt für viele Betriebe jeder Hektar und es zwingt viele betroffene Landwirte entweder zur Intensivierung der Bewirtschaftung oder gar zur Aufgabe ihres Betriebs (ein Betrieb / Tag allein in Südbaden). Dieses stile Sterben macht keine Schlagzeilen.

 

Im BMU-Bericht wird für 2009 bis 2013 ein Flächenverbrauch, zutreffender Flächenfraß, von 74 ha/Tag angegeben. Die Nationale Nachhaltigkeits-Strategie (NHS) hat das Ziel gesetzt, den Flächenfraß bis 2020 auf 30 ha/Tag abzusenken zum Wohle der Biodiversität. Dieses Ziel dürfte infolge des anhaltenden weit verbreiteten Bau-Booms krachend verfehlt werden. Die neuesten Zahlen seit 2014 werden gar nicht genannt. Meine Recherche bei Wikipedia erbrachte als letzten Eintrag das Jahr 2017 mit 69 ha/Tag. Also „business as usual“, den NHS-Zielwert weg ins Reich Fantasia. Wen juckt´s? Hauptsache die Bauwirtschaft brummt und nicht die Biene oder dieHummel.

 

Diese Zahlen und diesen Zusammenhang habe ich in dem Artikel schmerzlich vermisst, weil sie wohl aus unverständlichen Gründen auch nicht in dem Leopoldina-Papier enthalten sind? Hier höre ich von Kommunal-Politikern die ihre Wohn- und Gewerbegebiete nicht schnell genug auf dem Acker oder der Wiese erweitern können, immer nur die beiden Zauberwörter „bezahlbarer Wohnraum“ und „Arbeitsplätze“, denen sich auch kein grüner Politiker mehr verschließen kann. Naturschutz -Belange, Grundwasser- und Gewässerschutz, aber auch Württemberg Landwirtschaft werden mit Gutachten ausgebremst.

Hier in Baden-Württemberg  kauft man sich mit Ökopunkten quer durchs Land von Naturschutzauflagen frei.

 

Zu den Pestiziden habe ich bereits in meinem seinerzeitigen Kommentar von 2017 Stellung genommen. Aber auch hierzu und zu einigen anderen Punkten des Artikels noch einige Anmerkungen:

 

Die Zulassung der Pflanzenschutzmittel (PSM)-Wirkstoffe ist schon heute sehr streng und EU-weit geregelt.

 

Eine Abgabe um PSM teurer zu machen und somit deren Einsatz einzuschränken, ist nicht zielführend: Wie bei Medikamenten sind PSM mit Patentschutz bereits aktuell umstritten zumeist schon deutlich teurer als solche ohne Patentschutz, wie z. B. die umstrittenen Glyphosat-Mittel. Diese sind wie Generika günstiger aufgrund der größeren Konkurrenz von mehreren Herstellern. Deswegen werden Glyphosat-Mittel weltweit in großen Mengen eingesetzt. Hier eine gerechte Höhe für alle PSM-Abgabe zu finden, halte ich für eine große Herausforderung und müsste EU-weit gelten.

 

Ein großes Problem wird sein, PSM in Schwellen- und Entwicklungsländern zu reduzieren.

Dem Autor wird nicht entgangen sein, dass in diesem Jahr riesige Heuschrecken-Schwärme sowohl über Ost-Afrika als auch über große Landstriche in Pakistan und nun auch in Indien hergefallen sind und schon die Ernten für die Ernährung von Millionen Menschen vernichtet haben. Sie werden  noch mehr vernichten, weil noch eine dritte Generation bevorsteht, die sich auf den Weg machen und den Himmel verdunkeln wird.

Hier wäre man froh, man könnte wirksame und bezahlbare Insektizide aus der Luft ausbringen, um wenigstens einen Teil der Ernten zu retten. Deshalb kommt eine riesige Aufgabe auf die Welt-Gemeinschaft zu und das in einem Pandemie-Jahr. 

Der Klimawandel wird womöglich immer häufiger solch gigantischen Insekten-Kalamitäten bescheren, die bei einer wachsenden Bevölkerung in den betroffenen Ländern die „chemische Keule“ auf absehbare Zeit leider noch als notwendig erscheinen lassen. Leider wird dies den weltweiten Artenschutz-Bestrebungen oft einen Rückschlag verpassen.

 

Biodiversität und Forstwirtschaft

Die Aussagen des Papiers zum Wald zeigen, dass man auch einen renommierten Forstwissenschaftler hätte beteiligen sollen.

Den Autoren scheint entgangen zu sein, dass es der Forstwissenschaftler Carlowitz war, der vor ca. 300 Jahren den Begriff der Nachhaltigkeit in unseren Sprachgebrauch einführte. Unsere Forstgesetze sichern diese bei der Nutzung der Wälder schon seit gut 200 Jahren und damit die Versorgung der Bevölkerung mit dem nachwachsenden vielfach nutzbaren und CO2-neutralen Rohstoff Holz. Die Verwertbarkeit hängt hauptsächlich von der Baumart und der Dimension des Rohholzes ab.

 

Wenn in dem Papier gefordert wird, möglichst nur noch Bauholz zu nutzen, sollte darauf hingewiesen werden, dass dieses bald sehr knapp werden könnte, wenn die Autoren andererseits viel mehr Laubwälder fordern, die aber hauptsächlich Möbel- und Parkettholz liefern und viel Brennholz, das gar nicht mehr genutzt werden soll, obwohl es klima-neutral ist. Ob wir unbedingt immer mehr Lifestyle-Offene Kamine brauchen, da habe ich auch meine Zweifel, aber es gibt Holzheizungen mit hohen Wirkungsgraden, die sinnvoll sind.

 Im Wald verrottendes Holz wird auch zu CO2 und für die Humusbildung verbleiben Blätter, Nadeln, Reisholz und überall vorhandene Resthölzer.

 

Soll auch der ganze Zellstoff aus gerodeten Regen-Urwäldern an der Pazifikküste von Britisch Kolumbien kommen? Oder gar aus Eukalyptus-Plantagen aus Portugal, die jeden Sommer in Flammen stehen? Da ist mir ein Eigenanteil aus nachhaltiger heimischer Waldnutzung lieber.

 

Wo gibt es geeignete Flächen für mehr Wildnis?

Die Forderung, bundesweit 10% statt 5% der Waldfläche unter Schutz zu stellen und sich ohne Eingriffe entwickeln zu lassen, ist nachvollziehbar angesichts der Flächen, die andere ärmere Länder für den Arten- und Naturschutz sich selbst überlassen. 

Das Problem, das sich da bei uns stellt, sind die Eigentumsverhältnisse: Ca. 50 % der Waldfläche sind in Privatbesitz. Der Großprivatwald ist meist im Eigentum von Adelshäusern, mittlere und kleine Flächen oft im Besitz von Landwirten, bei denen der Wald oft eine wichtige Einkommensquelle ist, gerade in Gebirgslandschaften mit Grünlandwirtschaft.

Somit ist die Bereitschaft privater Waldbesitzer, ihren Wald sich selbst zu überlassen, nicht allzu groß einzuschätzen.

Bleiben die öffentlichen Wälder: Davon sind 20% im Besitz von Körperschaften öffentlichen Rechts, meist Kommunen, in Baden-Württemberg sogar 40%. Gerade bei Kommunen im ländlichen Raum stellt der Wald eine Einkommensquelle dar, auf die man nicht verzichten will und kann. Aber auch Großstädte mit großem Waldbesitz wie Berlin oder Freiburg i. B. sind meist nur bereit, kleinere Waldteile völlig der Natur zu überlassen.

Bleiben die Staatswälder in Bundes – und Landesbesitz, die ca. 30% der Waldfläche ausmachen. Die Wälder des Bundes stehen zumeist auf Truppen-Übungsplätzen und kommen dem Wildnis-Ideal oft schon sehr nahe, weil sie meist extensiv genutzt werden. Es findet dort kein Erholungsverkehr statt, die Tiere stören sich offensichtlich kaum am Übungsbetrieb. 

Die Wälder im Landesbesitz sind zum Teil kompakt, aber auch mit kleineren Flächen in den Flickenteppich der privaten und kommunalen Wälder eingewoben. Somit ist es schwierig, größere Waldgebiete zu finden, die man sich selbst überlassen kann, ohne Auswirkungen auf die Angrenzer. Die Suche nach einer geeigneten Waldfläche für den Nationalpark Schwarzwald hat diese Schwierigkeiten vor Augen geführt.

 

Dasselbe Dilemma trifft für die Wiederherstellung von mehr Wildnis in der offenen Landschaft zu, die in dem Papier gefordert wird, vor allem was Moore, Feuchtwiesen und Trockenrasen betrifft.

Als Lösung kann ich mir nur eine radikale Flur-Neuordnung bzw.  eine Bodenreform vorstellen. Aber ich höre jetzt schon das Geschrei vieler Interessengruppen, so etwas würde die Einführung des Sozialismus bedeuten. Dabei sind entwässerte Moore und Wiesen, kerzengerade Wege und Wassergräben, baum- und heckenfreie Acker- und Wiesenränder in der alten BRD das Ergebnis gigantischer Flur-Neuordnungen in den 1960-er und 1970-er Jahren („Grüner Plan“, die euphemistische Bezeichnung dieser Aktion), die ich selbst noch beobachten konnte. Motto: Die Feldflur muss nicht natur-, sondern als Produktionsstätte landmaschinengerecht sein.

 

Ich sehe aktuell keinen politischen Willen, das Problem Biodiversität so anzupacken, wie es die Autoren des Leopoldina-Papiers vorschlagen. Statt mehr Wildnis zu wagen, wird man versuchen, aus dem Boden, der nicht vermehrbar ist und dessen Wert deshalb ständig steigt, immer noch mehr Kapital zu schlagen. Man wird weiterhin als Kompensationsleistungen für Baumaßnahmen inselartige Mini-Biotope schaffen, die aber für viele Arten, die größere zusammenhängende Flächen für stabile Populationen  benötigen, keine Rettung vor weiteren Populationseinbußen oder gar dem lokalen oder regionalen Aussterben bringen.

Der BMU-Bericht zur Lage der Natur in Deutschland stellt geradezu ein Fanal dar, indem er diese Entwicklung bestätigt trotz einiger weniger positiver Tendenzen. Einen Kommentar von der Frau Bundeskanzlerin zu diesem Bericht habe ich nicht vernommen oder er ging im Corona-Hintergrundrauschen unter.

 

Bleibt zu hoffen, dass die Medien an diesem Thema dranbleiben. Da die Entwicklung der Artenvielfalt auch eng mit dem Klimawandel zusammenhängt, muss sie in der Politik und in den Medien denselben Stellenwert einnehmen.  


2.2 Kommentar zu „Sommer der Stille"

03.09.2017

 

Leitartikel „Der Spiegel“ Nr. 36 vom 02.09.2017 S. 98 ff. , Autor: Philip Beethge

 

Der Artikel zeigt sehr anschaulich anhand von Fallbeispielen, dass die konventionelle Landwirtschaft durch ihre ökonomischen Zwänge, die vor allem einen  zu hohen Dünger- und Pflanzenschutzmittel-Einsatz führt,  einen großen Anteil am Insekten- und Vogelschwund und damit am Verlust der Biodiversität in unserer Feldflur hat. Deswegen sollte man auch solche Landwirte politisch und finanziell unterstützen, die dem Naturschutz durch ökologischere Bewirtschaftung ihrer Flächen dienen, auch wenn die Agrar-Lobby  lamentiert, wie in dem Fall  desTriel-Vogelschutzgebiets südlich von Freiburg i. B..

Ich habe deswegen in einem Leserbrief in der "Badischen Zeitung" (s. http://www.badische-zeitung.de/kreis-breisgau-hochschwarzwald/leserbriefe-x5evcndyx--141041734.html) zu einem Artikel zu diesem Thema versucht darzulegen, dass die Landwirtschafts-Lobby nicht nur im Naturschutz ihren "Sündenbock" für die in Südbaden noch zahlreich vorhandenen kleinbäuerlichen Familienbetriebe suchen sollte, sondern ebenso bei Politikern aller Couleurs und Behörden von Bund, Ländern und vor allem auch Kommunen, die die Agrarflächen nach wie vor großzügig zur Bebauung freigeben.

Bei ersten Spatenstichen für Bau- und Gewerbegebiete wird die Umwandlung der Agrarflächen noch gefeiert. Die örtliche Presse preist die Erweiterungen der bebauten Areale als Zeichen der wirtschaftlichen Prosperität.

Frau Göring-Eckardt hat das Problem in Ihrem Gespräch mit Herrn Rukwied zumindest kurz erwähnt, aber es wurde leider nicht vertieft. Herr Rukwied muss eben auch diejenigen Landwirte vertreten, die mit dem Verkauf ihres Ackers diesen auch vergolden können, Generationen-Nachhaltigkeit in den Familien hin oder her.

Gewerbeflächen werden entlang der Autobahnen und Bundesstraßen an den Ortsrändern bundesweit angeboten wie Sauerbier, als hätten wir fruchtbare Agrarflächen unbegrenzt in Hülle und Fülle für unsere 82 Millionen Menschen zur weiteren ungebremsten Versiegelung verfügbar, mit allen ihren zusätzlichen negativen Folgen für den Naturhaushalt, deren wichtiger Bestandteil auch Insekten und Vögel. Deren Lebensraum wird aber immer stärker fragmentiert und eingeengt.

Im aktuellen Bundestag-Wahlkampf herrscht weitgehend Fehlanzeige zu diesem zukunftsträchtigen Thema, obwohl der Bund in der Agrar-, Naturschutz- und Raumordnungspolitik als Gesetzgeber sowie als Steuerempfänger und -verteiler  sehr wohl in der Verantwortung steht. Auch mit der EU verhandelt hauptsächlich der Bund über Agrar- und Umweltpolitik. Durch eine intelligentere Wirtschafts- und Raumordnungspolitik, die Betriebe dort ansiedelt, wo Industriebrachen und Arbeitskräfte vorhanden sind, könnte viel Agrarland verschont bleiben.

Noch eine Anmerkung zu dem von Ihnen moderierten Gespräch mit Frau Göhring-Eckardt und Herrn Rukwied: Ich war über 20 Jahre für den Waldschutz in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zuständig: Ich weiß, was Schadorganismen an Pflanzen, auch an Bäumen, anrichten können.

Wir mussten in meiner Dienstzeit auch im Wald einige Male Pflanzenschutzmittel einsetzen, um ein Absterben von Waldbeständen aufgrund von Insektenbefall zu verhindern. Da ging es nicht nur um die Erhaltung des Waldes für die nachhaltige Holzproduktion, sondern auch um dessen Funktion  als Erholungsraum und die vielen anderen Funktionen der Wälder.

Es gab im Vorfeld der Behandlungen immer heftige Diskussionen, auch mit den Naturschutz-NGO´s. Wir konnten aber mit unseren Argumenten klarmachen, dass die Einsätze notwendig und auch bezüglich der Nebenwirkungen auf andere Lebewesen vertretbar waren.

Bei der Landwirtschaft ist bei realistischer Betrachtung der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln leider nicht mehr verzichtbar, bei uns nicht, geschweige denn in anderen Regionen der Erde, wenn knapp 8 Milliarden Menschen ernährt werden sollen.

Da geht es nur darum, die umweltschonendsten Wirkstoffe und Ausbringungsverfahren sowie genauere Befallsprognose-Methoden zur Wahl des richtigen Mittels und des optimalen Ausbringungszeitpunkts zu finden.

Der Schutz vor Schaderregern über genveränderte Pflanzen findet ja gerade in der hiesigen Bevölkerung auch nicht viel Gegenliebe. Wegen der Resistenzprobleme halte ich diesen Weg auch nicht für allzu zielführend auf längere Sicht.

Also ist die stereotyp wiederholte Forderung großer Bevölkerungsgruppen nach generellen Pestizidverboten zwar verständlich angesichts immer wiederkehrender wirklicher und vermeintlicher Skandale, aber schlichtweg ohne große Ertragseinbußen in absehbarer Zeit nicht realisierbar. Der Klimawandel, der zumindest in unseren Breiten viele Schaderreger begünstigt, wird noch sein Übriges tun 


3. Thema: Insektenschwund

3.1 KOMMENTAR ZU „INSEKTENSCHUTZ VORANBRINGEN“

25.03.2019

 

Leitartikel „Badische Zeitung“  vom 21.03.2019, Autor: Bernhard Walker

 

Es ist äußerst verdienstvoll, dass die Badische Zeitung (BZ) ihren Leitartikel anlässlich des „Tags der Insekten“ diesem außergewöhnlichen Thema gewidmet hat. Dieser Tag war mir bislang nicht bekannt, obwohl ich als Forst-Entomologe beruflich viel mit Insekten zu tun hatte. 

Inhaltlich kann ich den Ausführungen des Autors nur voll zustimmen. Besonders die Förderpraxis der EU für die Landwirte als dringend änderungsbedürftig zu brandmarken, ist ein wichtiges Statement, da weit verbreitete konventionell bewirtschaftete Flächen insektenfeindlich sind, aber von der EU ebenso gefördert werden wie ökologisch bewirtschaftete.

 

Situation der Insekten im Lebensraum Wald

 

Resümee

Ich hoffe, ich konnte hier einige Aspekte des sehr komplexen Phänomens Insektenschwund über das bereits Bekannte hinaus aufzeigen. Das Thema bleibt heiß, weil rd uns alle betrifft, nicht nur wegen der Bestäubungsleistung der Honig- und Wildbienen.

Leider scheint mir an den Schulen die Digitalisierung einen höheren Stellenwert einzunehmen als Natur- und Artenschutz. Man muss aber den Schülern schon erklären , dass die Vielfalt der Arten eine  wichtige Lebensgrundlage für sie und für künftige Generationen ist, die man  dringend bewahren muss. Es gilt dabei der Spruch:

Man schützt und bewahrt nur das, was man kennt.  

 

Monitoring von Forstinsekten hat Tradition

Essentiell ist die Aufforderung des Autors, ein nachhaltiges flächenrepräsentatives Monitoring von Insektenarten zur Verbesserung der Datenbasis durchzuführen, sowie der Appell an die Leser, dass jeder Garten- und Balkonbesitzer selbst etwas für die Insekten tun kann.  und das sogar sehr kurzfristig und ohne nach der Politik zu rufen.

Naturgemäß standen bei meiner Arbeit  im Waldschutz die „Schadinsekten“ im Fokus, die die Waldbäume immer wieder bedrohen, wenn sie unter bestimmten Bedingungen sich stark vermehren. Da unsere Disziplin „Forst-Entomologie“  schon nahezu 200 Jahre alt ist, verfügen wir Forst-Entomologen über ein reiches Wissen über diese Insekten, vor allem wann und wo sie auftreten können.

Dies geschieht bei manchen Arten in regelmäßigen Zyklen. Die gefährlichsten  Arten werden schon seit Jahrzehnten mit einem flächendeckenden Monitoring überwacht.

Leider repräsentieren diese Schadinsekten nicht die gesamte im Wald lebende Insekten-Fauna, so dass über indifferente (“ungefährliche“) Insekten allenfalls punktuelles Datenmaterial über deren Populationsentwicklung in den letzten Jahrzehnten vorliegt.

 

Bekämpfung von Schadinsekten im Forst ist Ausnahme, nicht die Regel

Bei für bestimmte Baumarten  bedrohlichen Massenvermehrungen (Gradationen) von Insektenarten, wie z. B. dem Schwammspinner oder dem Eichenprozessionsspinner (beides Nachtfalterarten) wurden Mitte der 1990er und Mitte der 2000er Jahre in einigen Waldgebieten von Baden-Württemberg Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Raupen mit amtlich dafür zugelassenen Insektiziden durchgeführt.

Dies geschah immer nach einer intensiven Befalls-Prognose und Risiko-Analyse auf Antrag der betroffenen Waldbesitzer und  im Einvernehmen mit den betroffenen Behörden. Mit NGO´s war nicht immer ein Konsens zu erzielen.  Die Behandlungen erfolgten auf vergleichsweise kleinen Flächen.

Ziel der Einsätze war es immer, ökologisch und ökonomisch wertvolle ältere Eichenbestände vor dem Absterben zu bewahren. Gleichzeitig sollten dadurch die Nebenwirkungen auf nützliche Nichtziel-Insektenarten, wie die Schlupfwespen oder Laufkäfer minimiert werden.

Auch bei der aktuell zur Erhaltung der Fichtenbestände wieder unerlässlichen Borkenkäfer-Bekämpfung (s. auch BZ vom 06. März 2019)  wurden und werden nur im äußersten Notfall Insektizide eingesetzt und zwar niemals flächig über dem Wald. sondern nur die geschlagenen Stämme dürfen an Waldwegen gespritzt werden. 

In Naturschutz- und Wasserschutzgebieten sind Insektizide völlig tabu.

Viele, auch kommunale Waldbesitzer haben sich auch freiwillig verpflichtet, gar keine Insektizide einzusetzen und dadurch ggf. höhere ökonomische Verluste in Kauf zu nehmen.

Somit trägt und trug der Insektizid-Einsatz, der stereotyp an erster Stelle als Verursacher des Insektenschwunds genannt wird, in Wäldern nur in sehr geringem Ausmaß zum Insektenschwund in Baden-Württemberg, aber auch in anderen Bundesländern, bei.

 

Monitoring für indifferente Arten im Lebensraum Wald notwendig

Obwohl der Lebensraum Wald bzw. die Forstwirtschaft in dem BZ-Leitartikel nicht angesprochen wurde, ist es mir wichtig, diesen Aspekt für die weitere Diskussion, die durch das Volksbegehren in Bayern erst richtig an Fahrt aufgenommen hat, in Erinnerung zu rufen.

Ungefähr 38% der Landesfläche von Baden-Württemberg sind bewaldet. Die Wälder sind bei uns noch bzw. auch wieder weiträumig relativ naturnah und bieten damit vielen Insektenarten Lebensraum ohne allzu große Beeinträchtigungen durch menschliche Aktivitäten. 

Gleichwohl treffen auch im Wald immer wieder konkurrierende und kontroverse gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Interessen und Ansprüche Art und Technik der Holznutzung, Wald als Ort der Freizeitgestaltung u. a.) aufeinander. Diese müssen von den Fachleuten bewertet und von der Politik so in Einklang gebracht werden, dass z. B. die Artenvielfalt nicht darunter leidet.

Deswegen ist es notwendig, auch für nicht schädliche Insektenaren im Waldökosystemen ein landesweites repräsentatives Monitoring zu etablieren, um bei bedenklichen Entwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können.

 

Situation der Insekten in der Feldflur 

Was mir bei der Diskussion über die Verantwortung der Landwirtschaft für den Rückgang der Insekten stört, ist das apodiktische Urteil, dass der Pestizid-Einstz der einzige „Killer-Faktor“ sein soll. 

Fakt ist aber, dass es nicht nur die Pestizide sind, die den Insekten entweder direkt durch Insektizide oder indirekt, durch weitgehende Eliminierung der Blütenpflanzen auf den Äckern durch den Einsatz von Herbiziden, zusetzen. 

In Regionen mit viel Grünlandbewirtschaftung für die Viehhaltung, wie sie auch hier im Schwarzwald praktiziert wird, sind es auch die häufigen Mahden der Wiesen mit nachfolgender Gülle-Ausbringung, die vor allem für blütenbesuchende Insekten problematisch sind.

An Blumen sieht man auf solchen Turbo-Wiesen meist nur noch Gänseblümchen, Löwenzahn und Gelben Hahnenfuß im Frühjahr vor dem ersten Schnitt. Danach haben die für viele Insekten als Nahrungsquelle wichtigen Blumen keine Chance mehr zu blühen, geschweige denn sich auszusäen. Für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge ist da nicht viel mehr Pollen und  Nektar zu holen als auf einem mit Herbizid gespritzten Getreide- oder Maisfeld.

 

Situation der Insekten in Gärten, Grünanlagen und an Grün im Bereich von Verkehrswegen 

Sehr ähnlich, nur mit  Mineraldünger statt Gülle, werden auch  die überall verbreiteten  monotonen englischen Rasen in vielen öffentlichen Grünanlagen sowie in privaten Hausgärten und Kleingarten-Anlagen behandelt. Immer mehr Rasenflächen werden - das ist der Gipfel der Öko-Barbarei - geschottert oder gekiest und mit ein paar verlorenen Deko-Pflanzen als grünes Alibi versehen, meist beraten von einem  „Unternehmen für Garten- und Landschaftsgestaltung“.

Dabei wissen die meisten Leute nicht, dass  z- B. die Raupen von vielen bunten Schmetterlingsarten auf die verhasste Brennnessel als Futterpflanze angewiesen sind.

Gerade solche Fakten sollten immer wieder unter den Lesern der BZ und in anderen Medien immer wieder verbreitet werden. Es ist manchmal so leicht, vielen bedrohten Insektenarten kurzfristig  zu helfen, solange noch Restpopulationen dieser Arten in der Nähe vorhanden sind.

Auch Pflegetrupps von Straßenbauverwaltungen und kommunalen Bauhöfen behandeln die Grünflächen an Verkehrswegen oft nicht sehr insektenfreundlich. Die Grünflächen werden häufig viel zu früh gemäht, wenn die Bankette und Böschungen noch in voller Blüte stehen, aber keine Beeinträchtigungen des Verkehrs durch den Bewuchs erkennbar sind.  Gehölze werden bisweilen noch während der Vogelbrutzeit mit  Schredder-Maschinen mehr zerfetzt als geschnitten., was nicht nur den Vögeln und Insekten, sondern auch den Gehölzen nicht zuträglich ist. 

Es scheint auch immer mehr Baum-Gutachter zu geben, die öffentlichen und privaten Grundbesitzern die Entfernung größerer Bäume anraten. Gründe dafür lassen sich immer finden, z.B. weil sie angeblich schwer krank sind und im Schadensfall die Haftpflicht-Versicherung womöglich nicht für eintretende Personen- und Sachschäden aufkommt.

Fakt ist, dass bei starken Stürmen, bei denen die meisten Schäden innerhalb der Ortschaften entstehen, auch gesunde Bäume umfallen oder Äste abbrechen können. Das ist eine Frage der Physik. Ein Null-Risiko gibt es nicht, es sei denn man sägt alle größeren Bäume ab.

Ich beobachte in Freiburg, aber auch in vielen anderen Ortschaften in der Region, wie ganze Wohnquartiere, Kirchplätze, Friedhöfe und sogar Kleingarten-Anlagen sukzessive „entbaumt“ werden mit allen Folgen für die Biodiversität, natürlich besonders auch für Vögel und Insekten, die auf ältere Bäume, die auch einmal ein Loch im Stamm haben, angewiesen sind. 

Dass dadurch vielerorts auch das Mikroklima negativ beeinflusst wird, konnte man im Hitzesommer 2018 an vielen Orten schon spüren. Oft werden noch nicht einmal Ersatzbäume gepflanzt, ein Indiz, dass es da nicht immer nur um die Krankheit der Bäume und die Sicherheit, sondern darum geht, z. B. mehr Sonne zu genießen oder laute und kotende Vögel, klebrigen Lauskot („Honigtau“), herabfallende Blätter und Früchte oder viele Gründe mehr, um den Baum loszuwerden. Was kümmern da Insekten, wenn es ums Wohlgefühl, Bequemlichkeit und Kostenersparnis geht?

Auch der Einsatz von Pestiziden in Gärten und auf Grünflächen gehört in diese Rubrik und wird als Ursache für den Insektenschwund meist außer Acht gelassen. Da werden erhebliche Mengen - deutlich mehr als auf der gesamten Waldfläche - ausgebracht.

Es wurden zwar viele Vorschriften für private Anwender ohne Sachkunde.Nachweis immer wieder verschärft, aber nach wie vor kann man In den einschlägigen Garten-Centern und Baumärkten bekommen, was der Gartenfreund begehrt, aber den Insekten nicht immer zuträglich ist. Es gibt eben leider nicht für jedes schädliche Insekt ein selektiv wirkendes Insektizid und was macht man schon, wenn z. B. der Buchsbaumzünsler die schöne Hecke im Vorgarten abfrisst?

 

Jeder kann den Insekten helfen

Ich denke, diesen Aspekt, dass viele Menschen, die das Insektensterben beklagen, sich vielleicht auch bei der eigenen Nase fassen sollten, wenn sie sehen, wie sie selbst mit der Vegetation auf ihrem eigenen Grundbesitz umgehen, bzw. im Auftrag von Grundbesitzern handeln, kann man nicht genug betonen,

Erst wenn man selbst mit der Vegetation, die die Nahrungsgrundlage für viele Insekten und andere Tiere bildet, selbst sorgsam umgeht, kann man auf andere Gruppen wie die Landwirte zeigen. Man muss dann aber auch bereit sein, die kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft zu unterstützen, indem man auch bereit ist, höhere Preise für deren Produkte zu bezahlen.

Schließlich muss auch der Druck auf die Kommunalpolitik, nicht immer noch mehr landwirtschaftliche Flächen in in Gewerbe-, Wohn- und Verkehrsflächen umzuwandeln und dadurch weitgehend zu versiegeln, deutlich erhöht werden. 

Der Flächenfraß zerstört kontinuierlich (pro Tag deutlich mehr als 50 Hektar in Deutschland) den Lebensraum von Flora und Fauna.  

Die sich ausbreitenden Siedlungsflächen vor allem in den Verdichtungsräumen ist auch mit einer Zunahme von Lichtquellen verbunden, die oft auch Todesfallen für Insekten sind. Auch dieser Aspekt wird in der Diskussion zum Insektenschwund wenig beleuchtet, sind doch viele Insekten nachtaktiv und orientieren sich zum Licht (Phototaxis).

Deswegen können die Lichtquellen aktuell auch vor  Ort Hinweise liefern, wie viele Insekten  an einem Ort  noch vorhanden sind.

Aufgrund von eigenen Beobachtungen weiß ich; Flogen vor ca.30 Jahren noch Scharen von Nachtfaltern während warmer Sommerabende durch die offene Balkontür in mein beleuchtetes Wohnzimmer, so sind es seit etwa zehn Jahren nur noch einzelne Exemplare, aber nicht an jedem Abend.

Ältere Menschen können sich noch an Haufen toter Insekten unter Straßenlaternen erinnern. Dass da heute weniger liegen, liegt nicht nur am insektenfreundlicherem Licht der neuen Lampen.

 


4. Thema: Vogelschwund

4.1 Anmerkungen zu: Die Ursachen der Vogel-Verluste in den letzten drei Jahrzehnten

Oktober 2021

 

1. Situationsbeschreibung aus eigenen Beobachtungen

Der überall zu beobachtende Bau-Boom und die immer noch intensiver und effizienter werdende Landwirtschaft prägen immer mehr das Landschaftsbild vielerorts in Deutschland, vor allem in den Ballungsräumen, die sich immer mehr ausdehnen. Dies ist auch im Raum Freiburg i. Breisgau der Fall, wo ich schon lange wohne. 

Hauptsächlich sind landwirtschaftlich genutzte Flächen vom Siedlungsdruck betroffen. Aber auch Wälder werden von Straßen, Strom- und Gasleitungen zerschnitten. Manche Waldgebiete werden darüber hinaus immer mehr zu Arenen für verschiedenste Freizeitsport-Aktivitäten, die den Waldböden sowie der Flora und Fauna der Wälder nicht immer zuträglich sind. 

Da ich seit etwa 40 Jahren im selben Haus in Kirchzarten nahe Freiburg wohne und auch seit Jahren eine Winterfütterung habe, weiß ich, wie viele früher häufige Vogelarten hier nach und nach verschwanden.

Von vier Nistkästen am Haus wurden im Frühjahr 2021 einer von Blaumeisen bezogen, das Kohleisen-Nest in einem anderen wurde noch vor der Eiablage verlassen. 

Dafür kreisen erfreulicherweise Weißstörche, Rotmilane, Bussarde, Turm- und sogar Wanderfalken über dem Haus. Aber man sieht im Sommer fast keine Mauersegler mehr, die noch vor 20 Jahren sehr zahlreich durch die Luft jagten.

Die Futterstelle am Haus besuchten im vergangenen Winter fast nur noch Türkentauben, Feldsperlinge und Amseln. Gelegentlich kam im letzten Winter noch eine Kohl-, Blaumeise oder ein Buchfink vorbei. Die noch vor 10 Jahren am häufigsten anzutreffenden Grünfinken sind inzwischen völlig verschwunden, ebenso Tannen-, Sumpfmeise, Kleiber, Erlenzeisig, Stieglitz oder gar Gimpel und Kernbeißer.

In der Feldflur zwischen Kirchzarten und Freiburg-Kappel lassen sich in den Gehölzstreifen immerhin noch Mönchs-, Garten- und Dorngrasmücken hören.

Die Szene bestimmen aber die Rabenvögel, wobei die Elstern seit ca.10 Jahren immer seltener anzutreffen sind. Dafür wimmelt es von Raben-, Saatkrähen und auch Kohlraben, von denen manchmal bis zu 100 Individuen in einer Schar zu anzutreffen sind.

Als Neuankömmlinge stellten sich Orpheusspötter (seit 2014) und an einem Tümpel ein Nilgans-Paar ein. Ein Braunkehlchen-Paar ist seit 2018 verschwunden, wahrscheinlich weil am Bahndamm der Höllentalstrecke für eine Gleisbett-Dränage Gehölze am Brutort entfernt wurden.

Diese Beobachtungen geben bestimmt kein vollständiges Bild der Avifauna meines Wohnortes wieder, sie werfen aber ein Schlaglicht auf die Situation, die ich im  Dreisamtal westlich von Kirchzarten bei meinen zahlreichen Spaziergängen beobachtet habe. 

 

2. Die Ursachen für die Vogelverluste

An erster Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass im Folgenden aufgrund der Komplexität des Ursachengefüges weder eine qualitative noch eine quantitative Gewichtung der einzelnen Ursachen erfolgt. Die Auflistung soll dazu dienen, einzuschätzen, inwiefern man selbst im Privatbereich bzw. als Entscheidungsträger innerhalb einer Organisation zu Vogelverlusten beiträgt und wie man sie durch eigenes Handeln verringern kann.

 

2.1 Vogelverluste durch die Landwirtschaft

Durch die Flurbereinigungen zwischen den 1960er und 1980er Jahren wurden die Agrarlandschaften großflächig völlig ausgeräumt. Feldgehölzer wurden entfernt, Wege und Wasserläufe wurden begradigt. Weiterhin wurden die in der Oberrheinebene zuvor noch zahlreich vorhandenen Feuchtwiesen entwässert und größtenteils in Ackerland umgewandelt.

Die verbliebenen Wiesen wurden immer intensiver mit Gülle gedüngt und dadurch  das Pflanzenspektrum völlig eingeengt auf Gräser und wenige Stickstoff liebende bzw. tolerante Nektar spendende Blütenpflanzen. Damit wurde die Nahrungsgrundlage für Insekten und damit auch für viele Vogelarten gewaltig reduziert. Nicht nur die reinen Insekten-Spezialisten unter den Vögeln benötigen Insekten. Auch die Körnerfresser füttern ihre Jungen in den ersten Tagen mit Insekten! 

Für das Grünland gilt: Statt zweimal werden die Turbo-Wiesen fünf- oder sechsmal gemäht und gedüngt. Die Nektar spendenden Blütenpflanzen gelangen gar nicht mehr zur Samenreife.

Dass großflächige Ackerflächen mit Mais, Getreide oder Spargel sich nicht mehr als Habitate für Wachtel, Wachtelkönig, Rebhuhn, Kiebitz, Großen Brachvogel oder Feldlerchen eignen, versteht sich von selbst.

Auch die immer effizienter werdenden Ernte-Maschinen der Landwirte lassen kaum noch ein Mais- oder Weizenkorn für die Vögel nach der Ernte auf den Äckern zurück.  In letzter Zeit haben z. B. Ringeltauben an zwei bis drei Tagen alle Reste aufgepickt. Früher waren sie mehrere Wochen anzutreffen.

Der Pestizid-Einsatz wirkt hauptsächlich indirekt auf die Vögel. Je nach eingesetztem Wirkstoff können sie das Artenspektrum von Pflanzen und Insekten und damit die Nahrungsgrundlage der Samen- und Insekten fressenden Vögel massiv einschränken.

Aber gerade dieser Sachverhalt wird in der öffentlichen Diskussion über die Wirkungsweise der Pestizide oft verkannt, vor allem wenn sie grundsätzlich nur dann verantwortlich gemacht werden und bisweilen der Eindruck entsteht, die Vögel würden tot vom Himmel fallen, wenn ein Landwirt Pestizide ausbringt.

 

2.2 Vogelverluste in Hausgärten und in Grünanlagen

Es muss offen angesprochen werden werden, dass Pestizide nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in erheblichen Mengen in privaten Gärten und in   Grünanlagen aller Art eingesetzt werden. Man denke nur an die "Schlacht" gegen den Buchsbaumzünsler in unserer Region, in der auch Insektizide eingesetzt werden.

Sportanlagen wie Golfplätze sind auch nicht ohne Pestizid-Einsatz zu betreiben, der unerwünschte Planzen und Tiere fern hält. An Graswurzeln fressende Insekten-Larven sind z. B. eine wichtige Eiweißnahrung für viele Vogelarten.

Aber nicht nur Pestizide gefährden den Vogelbestand in den Gärten. Die Gärten werden immer artenärmer. Einheimische Baum- und Straucharten werden entfernt. Wenn neu bepflanzt wird, dann mit Kirschlorbeer oder Rhododendron, die Insekten und Vögeln nicht viel bieten. Oft bleibt auch in Schrebergärten nur noch ein englischer Rasen, der nicht anders behandelt wird wie eine Turbo-Wiese.

Als ob das nicht schlimm genug wäre, werden noch Immer mehr Rasen mit Schotter oder Kies bedeckt und mit einigen immergrünen Mini-Bäumchen oder Ziergras-Inseln bepflanzt. Der Rest des Grundstücks ist für die Fahrzeug-Flotte asphaltiert oder geplättelt. 

Wo soll da noch ein Sperling, ein Hausrotschwanz, ein Grauschnäpper oder eine Schwalbe Nahrung und Nistmöglichkeiten finden? Allenfalls eine Amsel hüpft da noch über den Rasen, weil noch ein paar Regenwürmer im Boden zu finden sind.

 

2.3 Vogelverluste durch Verdichtung im Siedlungsraum

Hier in Freiburg, aber auch in vielen anderen Städten werden ganze Kleingartenanlagen plattgemacht, die nicht nur die Lungen und Luftfilter sowie CO2-Senken der Städte sind, sondern auch reich strukturierte Lebensräume für viele Vogelarten darstellen. Folge: Ein „stummer Frühling" in ganzen Wohnquartieren, man achte auch einmal darauf, wie viele Kirchplätze und Friedhöfe hier in der Region "gelichtet" wurden. 

 

2.4 Vogelverluste durch Aufprall auf Glasfassaden und Fenster

In dem Artikel "Fenster zum Tod" ("Der Spiegel“ 2/2017) werden erschreckende Zahlen hierzu genannt, wie unsere Gebäude vor allem den Kleinvogelbestand "auskämmen". In Nordamerika wird der Verlust auf rund eine Milliarde Individuen pro Jahr geschätzt, für Europa eine hohe dreistellige Millionenzahl.

 

2.5 Vogelverluste durch Straßen- und Flugverkehr

Für die Verluste auf Straßen durch den Fahrzeugverkehr gibt es sicherlich ebenfalls Schätzungen. Einmal sind Jungvögel, die noch nicht vollständig flügge sind und die an Straßenrändern in Nestern auf Bäumen, in Hecken oder am Boden aufwachsen. Weiterhin sind auch Altvögel vieler Arten betroffen, die Weichtiere, Insekten, Wirbeltiere oder Sämereien aufpicken. Als Aasfresser dürfte mancher Rotmilan auch von einem Fahrzeug überfahren werden und nicht nur durch Windräder getötet werden.

Es ist bekannt, dass sich auf Flugplätzen oft viele Vögel aufhalten und es an größeren Flughäfen ein regelrechtes Vogel-Management gibt um Schlagschäden mit Flugzeugen zu verhindern.  Wenn es zu spektakulären Flugzeug-Unfällen durch die Kollision mit Vögeln kommt, berichten die Medien. Die vielen kleinen Kollisionen, die zu Vogel-Verlusten führen bleiben im Dunkeln.

 

2.6 Vogelverluste durch Hauskatzen

Im dem in Abschnitt 2.3 zitierten Spiegel-Artikel äußert der dort zitierte amerikanische Ornithologe die Vermutung, dass die Verluste an Kleinvögeln durch Hauskatzen sogar noch höher sind als durch Aufprall auf Glasfassaden und Fenster.

Dieser Befund dürfte die vielen Katzenfreunde bei uns schockieren, hoffentlich motivieren sie auch Katzenhalter, besser auf ihre Haustiger aufzupassen.

 

2.7 Vogelverluste durch Fang und Bejagung von Zugvögeln im Mittelmeerraum

An der nordafrikanischen Küste und auf den Inseln Zypern und Malta (beides EU-Länder mit den angeblich strengsten Vorschriften der Vogelschutz-Richtlinie der EU) kommen ebenfalls jährlich auf dem Hin- und Rückflug Millionen Vögel zu Tode und werden noch als Delikatessen, sicherlich auch von deutschen Touristen verspeist. Leider gibt es auch in Italien und Frankreich noch illegale Vogeljagd.

 

3. Schlussfolgerungen

Das immer etwas verächtlich als Piepmatzkram bezeichnete Vogel-Thema ist ökologisch unglaublich relevant, zeigen doch die sehr mobilen und instinktsicheren (vielleicht sogar intelligenten?) Vögel an, wie intakt unsere natürlichen Lebensräume und komplexen ökologischen Kreisläufe noch sind.

Ich hoffe, an dieser Stelle hierzu einige Informationen und Denkanstöße für die weitere Diskussion zum Thema "Stummer Frühling" gegeben zu haben.